Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium
Autoren: Mattias Gerwald
Vom Netzwerk:
aufweichen Wegen er von Spanien aus in diese Gegend gekommen war. Er erklärte, erst vor kurzem auf einer Nef im Hafen von Lapethos eingetroffen zu sein. Er pilgerte zum St. Georgskloster der Lateiner in Salamis, um eine Schuld zu sühnen, von der er aber nicht sprechen wollte.
    Die Gefährten begrüßten es, dass er sich ihnen angeschlossen hatte. Madeleine war erfreut über den neuen Gefährten, der Frankreich und besonders ihre Heimat, die Bretagne, gut kannte. Jesus de Burgos war als junger Mann sogar für längere Zeit in ihrem Heimatdorf Notre-Dame gewesen, wo er einem ritterlichen Herrn gedient hatte.
    Madeleine stutzte. Sie kannte keinen Ritter in Notre-Dame. Aber vielleicht hatte es einen solchen in früherer Zeit gegeben.
    Madeleine überlegte. Dann erschauerte sie. Das musste einer jener Ritter gewesen sein, die man wegen ihrer Untaten später verfemt, vertrieben und verfolgt hatte. Sie beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, und Jesus de Burgos sprach auch nicht länger davon.
    Die Landschaft wurde abwechslungsreich. Sie kamen durch hügelige Nadelwälder, sahen Felsen und alte, offenbar lange verlassene Siedlungen. Viele Steine waren abgetragen und abtransportiert worden, wahrscheinlich von Menschen aus benachbarten Dörfern, die sie für ihre eigenen Häuser verwendeten. Darüber hinaus entdeckten die Gefährten in der Ferne ein ihnen unbekanntes Kastell, und einmal wichen sie einem Trupp bewaffneter Soldaten aus, der in Richtung Meer ritt.
    Jetzt, gegen Ende des Winters, war der Boden vertrocknet, es hatte lange nicht mehr geregnet, was ungewöhnlich war. Nur verfilztes Unkraut mit gelben Köpfen wiegte sich im Wind, Bäche trugen wenig Wasser, aber an einem See stürzte ein Wasserfall herunter, und sie konnten ihre Wasservorräte auffüllen.
    Zwischen Pinien und Olivenhainen hindurch ritten sie nach Osten weiter. Sie hofften, in wenigen Tagen ihr Reiseziel zu erreichen.
    An einem der folgenden Nachmittage ereignete sich beinahe eine Katastrophe. Die Sonne brannte heiß, und die Reiter waren müde. Ihre Augen schmerzten vom trockenen Staub, der vom stetigen Wind über die Höhen getrieben wurde.
    Sie überquerten einen Steilhang. Auf dem unebenen, abschüssigen Gelände kamen sie nur langsam voran. Henri ritt voraus, ihm folgte Jesus de Burgos, dann kam Sean, und Uthman bildete mit Madeleine den Abschluss.
    Plötzlich scheute Henris Pferd. Henri meinte eine merkwürdige Berührung zu spüren. Sein Pferd rutschte mit den Hufen weg, Steine kollerten in das tiefe Tal hinunter. Jesus’ Pferd stieß gegen Henris Gaul. Eine Hand griff herüber und packte Henri. Noch einmal stieß Jesus’ Pferd gegen die Flanke seines eigenen Tiers, das erregt wieherte. Die Hand stieß Henri mehr, als sie ihn hielt. Henri kam ins Rutschen. Sean schrie ihm von hinten eine Warnung zu. Henri verlor den Halt auf seinem Pferd, das sich zur Seite drehte und mit der Hinterhand auskeilte. Dann packte die Faust von hinten Henri am Arm und riss ihn zurück. Henri wurde aus dem Sattel gezogen, Jesus war abgesprungen und hielt Henri fest. Der alte Mann besaß erstaunliche Kräfte. Henri sah, wie sich sein eigenes Pferd langsam wieder fing und in den Flanken zitternd stehen blieb. Dann rührte es sich keinen Schritt mehr.
    Henri rappelte sich wieder auf, seine Füße fanden Halt auf einem kleinen Felsvorsprung. Jesus de Burgos kam ebenfalls auf die Füße. Er ließ Henri jetzt los. Beide standen zugleich auf.
    Henri empfand Dankbarkeit gegenüber dem alten Mann. Er gab ihm die Hand. Aber gleich darauf durchfuhr ihn ein weitaus weniger angenehmer Gedanke: Hatte Jesus de Burgos ihn wirklich davor bewahrt, in die Schlucht zu stürzen? Oder war nicht vielmehr er es gewesen, der ihn mit seinem Pferd erst in diese Gefahr gebracht hatte?
    Uthman war jetzt bei ihnen angelangt. Er blickte Jesus mit einem grimmigen Blick an. Dann griff er nach Henri.
    »Alles in Ordnung, alter Freund?«
    »Ja, alles in Ordnung. Aber es war knapp.«
    »Was ist eigentlich geschehen?«
    »Ich weiß nicht, das Pferd rutschte plötzlich aus…«
    Wieder blickte Uthman den Spanier argwöhnisch an. »Und Jesus hat wohl das Schlimmste verhindert?«
    »Ich muss ihm dankbar sein.«
    »Ach was«, wehrte Jesus ab. »Ich war einfach zur Stelle, das ist alles. Henri hatte einfach Glück.«
    »Nun«, sagte Uthman zögernd, »gehen wir mit den Pferden am Zügel zu Fuß weiter, bis wir diesen Steilhang überquert haben. Hier ist der Untergrund wirklich sehr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher