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Das neue Buch Genesis

Das neue Buch Genesis

Titel: Das neue Buch Genesis
Autoren: Bernard Beckett
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sprechen, aber das war, weil ich Zeit brauchte, um mir über etwas klar zu werden. Um einige Schlüsse zu ziehen.« Adam schritt langsam durch den Raum, als hielte er eine feierliche Rede. Eine leise, persönliche Ansprache.
    Art folgte Adams Bewegungen mit neugierigem Blick.
    »Ich weiß nicht, was es bedeutet, ein vernunftbegabtes Wesen zu sein. Du hast mir diese Gewissheit genommen. D a du mein einziger Gesprächspartner bist, neige ich immer mehr dazu, dich so zu behandeln als wärst du ein denkendes Wesen wie ich, aber vielleicht ist das nur eine Art von Gefängniswahnsinn. Vielleicht hätte ich mich, wenn es dich nicht gäbe, mittlerweile auch mit meinem Stuhl angefreundet. Vielleicht hätte ich angefangen, mit ihm zu sprechen. Und wer weiß, vielleicht hätte ich sogar eine Möglichkeit ersonnen, zu hören, wie er mir antwortet.
    Aber selbst wenn ich hier eingesperrt bin und nur eine Maschine habe, mit der ich sprechen kann, habe ich manchmal klare Momente. Es geht mir nicht mehr um Bewusstsein. Es geht mir nur noch um den Unterschied. Alle Leute, die ich kenne, sehen einen Unterschied zwischen Mensch und Tier, aber keiner von uns kann den Unterschied genau benennen oder ihn ermessen. Für manche ist der Unterschied so gering, dass sie nichts essen wollen, was von einem Tier stammt. Für sie überwiegen die Gemeinsamkeiten. Genauso ist es mit den Fremden. Man hat mir beigebracht, sie zu töten, sobald ich einen von ihnen sehe. Nicht weil wir glaubten, dass sie sich wesentlich von uns unterschieden, sondern weil man uns gelehrt hat, dass die Unterschiede es wert seien, dafür zu sterben.
    Aber ich habe ihr in die Augen gesehen. Selbst aus der Ferne sah ich etwas, das ich niemals in deinen Augen sehe. Als wir uns gestritten haben, wusste ich zuerst nicht, wie ich es nennen sollte. Meine Antworten waren unbeholfen und für dich war es ein Leichtes, meine Antworten gegen mich zu verwenden. Du hast mich an meinem eigenen Verstand zweifeln lassen. Ein raffinierter Trick, das gebe ich zu, aber nur ein Trick. Seit wir uns das letzte Mal darüber unterhalten haben, habe ich darüber nachgedacht und jetzt weiß ich, wodurch wir uns unterscheiden.«
    In Arts Augen lag ein Ausdruck, den Anax nie erwartet hätte. Er wirkte zögerlich und sah plötzlich verletzlich aus. Art bedeutete Adam wortlos fortzufahren.
    »Vor Gericht haben sie mich gefragt, warum ich es getan habe. Warum habe ich die Sicherheit meiner Gesellschaft aufs Spiel gesetzt und das Leben eines Arbeitskollegen geopfert, um eine Fremde zu retten? Ich sagte, weil ich das Gefühl hatte, das Richtige zu tun.
    Aber es war mehr als das. Als ich aufs Meer hinausblickte und sie in diesem Boot sah, entdeckte ich mehr als Hilflosigkeit. Ich glaube, wenn es nur Hilflosigkeit gewesen wäre, hätte ich sie töten können. Ich habe schon andere hilflose Dinge getötet. Aber ich sah auch eine Reise. Eine Entscheidung, die vor langer Zeit angesichts gewaltiger und unausweichlicher Gefahren getroffen worden war. Ich sah die Hoffnung auf ein besseres Leben und den Willen, alles zu riskieren. Ich sah den merkwürdigen Sinn hinter dem Wagnis, ganz allein ins Ungewisse aufzubrechen, all die Lügen, die sie sich selbst erzählt haben musste, um bis hierher zu gelangen. Ich sah in ihre Augen und sah mich selbst. Gefällte Entscheidungen und unerfüllte Hoffnungen, von denen ich die meisten nicht beim Namen nennen kann. Ich sah Ziele und Entscheidungen. All jene Dinge, die ich nie sehe, wenn ich dich ansehe.«
    Art ließ die Stille zwischen ihnen andauern, als warte er auf mehr, doch Adam blieb still.
    »Schöne Worte«, antwortete Art schließlich, doch seine Stimme hatte sich verändert. Anax spürte es instinktiv. Etwas fehlte. Eine minimale, kaum wahrnehmbare Veränderung, doch zum ersten Mal war Anax sich sicher, dass Art bluffte. »Aber ich fürchte, du siehst nur, was du sehen willst. Du weißt nicht, ob das Mädchen vielleicht gezwungen wurde, ins Boot zu steigen. Du weißt nicht, ob sie hilflos übers Meer trieb, ohne Orientierung und Ziel. Und du weißt auch nicht, was mich dazu bringt, Dinge zu sagen und zu tun. Ich bin wie die Tiere, die ihr zum Essen geschlachtet habt, so lebendig, wie ihr sie sehen wolltet. Genauso war es bei ihr auch. Das ist die endgültige Wahrheit.«
    »Und was treibt dich an?«, fragte Adam und drehte sich mit neuer Leidenschaft zu ihm um, als hätte auch er Arts Schwäche bemerkt.
    »Ich kann dir eine Geschichte erzählen, wenn es das ist, was
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