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Das München-Komplott

Das München-Komplott

Titel: Das München-Komplott
Autoren: Wolfgang Schorlau
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einer klaren Selbstverständlichkeit aus.
    Über die Triebkräfte ihrer politischen Karriere machte sichCharlotte keinerlei Illusionen. Sie verdankte alles dem Großvater. Man schmückte sich gerne mit ihrem Namen. Seit sie denken konnte, schon als Kind, stand sie jedes Jahr am 20. Juli, dem Gedenktag des Attentats Stauffenbergs auf Hitler, auf Friedhöfen, an Denkmälern und manchmal auch in Berlin an der Hinrichtungsstätte. Sie hörte den Reden der Politiker zu. Schon als Jugendliche dachte sie manchmal, dass sie die gestanzten Worte alle schon einmal gehört hatte, und sie versuchte die Reden im Geist mitzusprechen, vorherzusehen, welche Worte als Nächstes folgen würden. Es gelang oft. Sie kannte die Gesten, mit denen sie die Kranzschleifen zurechtzupften, und das ernste Mienenspiel bei den kurzen Minuten stillen Gedenkens. Sie kannte das plötzliche Umschalten auf Erleichterung oder geschäftigen Alltagsjargon, wenn die Fernsehkameras ausgeschaltet waren.
    Sie war von klein auf gewöhnt, gefilmt zu werden. Aber sie durfte nicht jubelnd rufen: »Guck mal, das da bin ich!«, wenn sie sich auf den Bildern der Tagesschau erkannte. Als Kind immer an der Hand der Großmutter. Sie unterdrückte den Jubel-Impuls. Haltung. Darauf kam es an. Und sie hatte Haltung. Schon als Vierjährige.
    Ihre Großmutter hatte sie geprägt. Wenn sie darüber nachdachte, und das tat sie in den letzten Monaten immer öfter, dann war sie von den Großeltern mehr geformt worden als von den Eltern.
    Die Großmutter war es, die ihr durch ihr Beispiel Haltung beibrachte. Noch auf dem Sterbebett saß sie kerzengerade, den unbeugsamen Rücken gegen das große Kissen gelehnt. Unantastbar. Unberührbar. Und unerreichbar. Ewiges Vorbild. Die Großmutter war nicht nur Vorbild, sondern auch dauernde Mahnerin: »Sitz aufrecht, Kind!«, war ein Standardsatz. Sie war es auch, die einen Stock zwischen Stuhl und Rücken klemmte, um sie zu zwingen, gerade zu sitzen. Sitz wie eine von Schmoltke. Geh wie eine von Schmoltke. Aufrecht. Geradlinig. In Pose und Charakter.
    Ihr entging nicht, dass es zwischen ihrer Großmutter und ihrer Mutter Spannungen gab. Manchmal lagen sie in der Luft wie eine Gewitterwolke, manchmal waren sie kaum zu spüren, aber verschwunden waren sie nie. Es hing wohl zusammen mit etwas, das die Großmutter die Hippie-Phase der Mutter nannte. Es klang so, als habe die Mutter einmal Schande über die von Schmoltkes gebracht, als sei sie weggelaufen vor der Pflicht, die Tochter eines Widerstandskämpfers zu sein. Die Mutter beherrschte die typische Schmoltke-Haltung auch, aber sie konnte sie an- und ausschalten wie das elektrische Licht, und unter der anerzogenen Fassade lag eine warme Herzlichkeit, die der adlig-untadeligen Großmutter fehlte.
    Trotz dieser Spannungen schien es einen Pakt zwischen den beiden Frauen zu geben. Ihre Mutter schien keine Einwände zu haben, dass die Großmutter sich der Enkelin annahm, als sei es ihr eigenes Kind und als ginge es darum, das Erbe des Großvaters an das kleine Mädchen weiterzugeben.

Sternzeichen
    Als Dengler an den Tisch zurückkehrte, saß die junge Frau immer noch an seinem Platz, und der Kellner stellte gerade eine neue Flasche Grauburgunder auf den Tisch.
    »Hallo, ich bin die Betty«, sagte sie und streckte Dengler die Hand entgegen. »Betty Gerlach.«
    »Erfreut«, sagte Dengler und deutete einen Handkuss an.
    Er wunderte sich, dass Martin Klein ihn wütend ansah.
    Außerdem hielt Klein auf seltsame Art die rechte Hand vor den Mund. Das sah komisch aus, wie ein Mundschutz gegen die Schweinegrippe, und Dengler überlegte, ob er eineBemerkung darüber machen sollte. Als er den Zorn in Kleins Augen sah, verzichtete er darauf.
    Mario führte das große Wort.
    »Stell dir vor, Betty ist Waage. Ausgeglichen, um Harmonie bemüht. Gerechtigkeitsliebend.«
    »Endlich jemand an diesem Tisch, der an Horoskope glaubt«, sagte Dengler zu ihr.
    »Und wie«, antwortete sie strahlend. »Vielleicht haltet ihr mich für verrückt, aber bisher haben sie meinem Leben immer im richtigen Augenblick den entscheidenden Hinweis gegeben. Bei allen wichtigen Entscheidungen habe ich meinem Horoskop vertraut, und ich bin nie schlecht damit gefahren.«
    Und nach einer kleinen Pause sagte sie: »Was bist du denn für ein Sternzeichen?«
    »Widder.«
    »Und dein Aszendent?«
    »Keine Ahnung. Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht genau, was ein As…«
    »Aszendent!«
    »Keine Ahnung, was das genau ist.«
    »Wann
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