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Das München-Komplott

Das München-Komplott

Titel: Das München-Komplott
Autoren: Wolfgang Schorlau
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würde. Im Moment war schwer vorherzusagen, wie die Wahlen ausgehen würden. Selbst wenn die Konservative Partei wieder die Regierung bilden würde, war nicht sicher, ob ihr erneut das Innenministerium zufiel. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Zu wenig, um etwas zu bewirken.
    Wirklich?
    Sie stand auf, streckte die Arme und dehnte sich.
    Um was ging es eigentlich bei dem Interview?
    Sie schaute in den Papieren nach: Um eine Grundgesetzänderung, mit der man die Piraten vor Somalia besser bekämpfen konnte. Die Journalisten würden sicher wissen, dass dieses Thema der Regierung nur die Gelegenheit bot,um das Grundgesetz für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren aufzulockern. Sie musste sich auf Fragen in dieser Richtung wappnen. Sie würde alles abstreiten, obwohl die Journalisten wussten, dass es genau darum ging, und sie wusste, dass die Journalisten wussten …
    Noch unsicher auf den Beinen ging sie ins Bad und stellte die Dusche an. Wie würde ihr Tag weitergehen? Neben dem Telefon lag die Mappe mit ihrem Tagesplan. Das Papier quoll heraus. Neun Uhr: Frühstück mit irgendjemand von ver.di. Da ging es um die geplante Änderung der Beamtenbesoldung. Dann Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU, danach im Kanzleramt die Koalitionsrunde. Anschließend tagte der Innenausschuss. Am Nachmittag Einweihung eines neuen Olympiastützpunktes. Wo nur? In Stralsund? Nein, Stralsund war es nicht, aber doch irgendein Ort im Osten. Im Ablaufplan würde es stehen, der Fahrer würde schon wissen, wo er sie heute hinzufahren hatte.
    Das ist wieder einer meiner Horrortermine, dachte sie. Drei Stunden Hinfahrt, drei Stunden Rückfahrt, eine halbe Stunde Grußwort. Am Abend Empfang des Bundesverbandes der Sicherheitsirgendwas. Mit Rede. Vielleicht konnte sie im Auto den Text überfliegen. Notwendig war das aber nicht. Bitter dachte sie, dass sie das immerhin in den vier Jahren gelernt hatte: Fremde Texte mit Überzeugung vorzulesen, so als ob man sie selbst geschrieben und nicht eben zum ersten Mal gesehen habe. Pünktlich würde sie sowieso nicht sein.
    Warum das Büro die Termine immer so eng setzte? Hab ich nicht schon hundertmal gesagt, dass sie mich nicht zu Tode hetzen sollen?
    Eine Sprechpuppe bin ich, dachte sie plötzlich. Ich rase von Ort zu Ort und lese Reden vor, die ich nicht kenne. Mit Inhalten, die das Büro ausgearbeitet hat.
    Vor ein paar Tagen hatte sie zufällig auf dem Ministerstockwerk dem Gespräch zweier Beamter zugehört. Sie standenbeieinander am Kopierer, Akten in der Hand, und hörten sie nicht kommen.
    »Die Minister kommen und gehen«, hatte der eine gesagt.
    »Und die Staatssekretäre auch«, der andere, und dann hatten sie sie erschrocken bemerkt und waren hastig auseinandergegangen.
    Sie hatten recht. Was hatte sie schon erreicht? Dabei war sie doch mit einem wichtigen Ziel in dieses Amt eingetreten. Nichts hatte sie erreicht. Wie ein Hamster lief sie im Rad. Auf hohem Niveau, sicher. Die Beamten scharwenzelten um sie herum. Die Interessenverbände sowieso. Frau Staatssekretärin hier, Frau Staatssekretärin dort. Vorgegebene Unterwürfigkeit. Ja, wie ein Hamster. Aber ein Hamster in einem teuren Auto. In besten Kostümen. In erstklassigen Transportmitteln. Gut bezahlt. Mit viel Geld. Manchmal fühlte sie sich richtig mächtig.
    Aber doch nur eine Sprechpuppe.
    Kein Privatleben.
    Keine eigene Meinung.
    Keine Aufmerksamkeit.
    Kein Freiraum.
    Das war ihr Leben.
    Selbst der Kontakt mit den Bürgern war schwerer geworden. Eine einfache Abgeordnete konnte man leichter ansprechen als sie. Aber nun, mit all den Insignien der Macht ausgestattet, dem Dienst-Audi, den Referenten, der Begrüßung durch Oberbürgermeister, schien es ihr, als hätten nur noch Verrückte den Mut, mit ihr zu sprechen. Bei einem der letzten Auftritte hatte eine Frau um die vierzig sie bedrängt. Wie die Regierung mit dem Datum 21. 12. 2012 umgehen würde? Ob es Einsatzpläne für diesen Tag gebe? Sie hatte die Frau irritiert angesehen, die so gewisslich auf sie einsprach, als müsse jedermann wissen, was dieses Datum bedeutete. Charlotte wusste es nicht, und die Frau erklärte ihr schließlich, dass an diesem Tag der Kalender der Maya ende. Und damit endefür die Mayas auch die Geschichte der Welt. Selbst seriöse Wissenschaftler beschäftigten sich seit Langem mit den möglichen Folgen. Verheerende Schäden seien zu erwarten, sagte die Frau, und die Regierung müsse doch endlich das Volk aufklären.
    Es war der fanatische Glanz in den Augen der
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