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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel
Autoren: Christian Ditfurth
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Freiheit oder Tyrannei, um uns oder sie. Und weil es um das Grundsätzliche ging, habe ich niemanden verachtet außer den Verrätern. Ihre und unsere.«
    Henri nickte.
    »Du bist gegangen«, sagte Georg.
    Henri nickte wieder. Georg schaute sich fast demonstrativ um. »Hast du was angestellt? Muss ich etwas wissen, bevor ich fahre? Ich war zusammen mit dir dort, vielleicht wollen die mir was anhängen. Etwas, von demich nichts weiß. Ich hatte noch nie Lust auf Lefortowo. In meinem Alter wird man bequem.« Er schaute Henri entschuldigend an.
    Henri schüttelte den Kopf und zog einen Moment die Augenbrauen hoch. »Niemand hat mir etwas vorgeworfen.«
    Georg seufzte wieder. »Manchmal überdeckt man eine kleine Sauerei, damit eine große nicht zum Himmel stinkt.«
    Henri schwieg, dann sagte er: »Das passiert. Manchmal ist so etwas auch ganz vernünftig. Aber ich kenne keinen solchen Fall.«
    »Gewiss.«
    Nachdem Scheffer mit einem knappen Abschiedsgruß gegangen war, saß Henri noch lange auf dem Balkon. Er schaute hinaus auf die Vogesen, die gerade zäh von der Dunkelheit geschluckt wurden. Es war noch mild, eine warme Brise umwehte das Haus. Die letzten Vögel zwitscherten, am Himmel hinterließ ein Flugzeug Kondensstreifen. Ein warmer Sommer ging zu Ende. Irgendetwas klapperte, aber es alarmierte Henri nicht, das war wieder beim Nachbarn, der so laut kochte und abräumte. Einmal stand er auf und schenkte sich in der Küche ein Glas von dem Bordeaux ein, den er auf Empfehlung der schwarzhaarigen Verkäuferin im Weinladen des Städtchens gekauft hatte, um ihn zu probieren. Er trank einen Schluck, und seine Zunge und sein Gaumen nahmen den Geschmack auf. Der tiefrote Wein tendierte zum Herben, wie Henri es mochte, ein wenig Kirsche steckte darin, auch Eiche vom Fass, vielleicht ein Hauch Vanille. Während er schmeckte, arbeitete sein Hirn auf Hochtouren. Er kalkulierte alle Möglichkeiten und begann dann die unwahrscheinlichen auszusortieren. Am Ende stand ein so einfaches wie furchterregendes Ergebnis. »Zwei und zwei sind vier«, murmelte Henri. Er machte einen genauen Plan, verdichtete ihn auf dasNotwendige, befreite ihn von unnötigen Risiken und fand ihn schließlich ganz einfach. Es hing alles davon ab, ob die alte Verabredung noch funktionierte. Und ob es den noch gab, mit dem er sie getroffen hatte.
    Neun Wochen später stieg er nach dem Frühstück in seinen Geländewagen und fuhr in der Herbstsonne die Hangstraße hinunter ins Städtchen. Jedes Mal, wenn er in ein Auto stieg, griff die Erinnerung an den Unfall nach ihm, den er kurz nach der Fahrprüfung gehabt hatte. Ein gebrochenes Bein, ein paar Prellungen, nichts Ernstes, aber Ursache einer Panik, die er erst in seinen alten Tagen ganz unter Kontrolle bekommen hatte. An der Abzweigung zur Hauptstraße wich er einem Trecker aus, der mit einem schwer beladenen Hänger von der Weinlese kam. Er hielt vor dem Weinladen und kaufte noch zwei Flaschen Bordeaux, lächelte der Verkäuferin zu und lobte ihre Empfehlung, wie er es immer tat, wenn er den Laden aufsuchte. Henri verstaute die Weinflaschen im Kofferraum und fuhr weiter. Es war so wie immer. Nur dass er diesmal das Städtchen verließ und scheinbar ziellos durch die Gegend fuhr. Henri behielt den Rückspiegel im Auge, und als er sicher war, dass niemand ihm folgte, gab er Gas und fuhr in Neuenburg auf die Autobahn in Richtung Basel. Er rollte mit dem Verkehr, überquerte in Basel unkontrolliert die Schweizer Grenze, fuhr in Richtung Innenstadt, bis er eine Swisscom-Telefonzelle neben einem Zeitungskiosk entdeckte. Er fand nicht weit entfernt eine Parklücke am Straßenrand und betrat die Telefonzelle. Er las die Telefonnummer von einem Zettel ab, wählte, hörte, wer sich meldete, und legte gleich wieder auf. Er stand einen Moment, nickte leicht, dann setzte er sich wieder ins Auto und fuhr zurück nach Hause. Auch diesmal entdeckte er nichts Auffälliges vor sich oder im Rückspiegel. In der Nacht packte er eine Reisetasche, und am Morgen fuhr er wieder los. Aber diesmal hielter nicht, sondern verließ die Stadt, folgte der schlängeligen Straße nach Bad Krozingen, sah auf den Hängen die Bauern und ihre Helfer bei der Weinlese und vergaß nie, den Rückspiegel im Auge zu behalten. In Bad Krozingen nahm er die A 5 in Richtung Karlsruhe. Er fuhr eher gemächlich, passierte Karlsruhe und fuhr in Heidelberg ab. Dann folgte er der Bundesstraße 3 in Richtung Darmstadt, kehrte aber schon in Heppenheim wieder
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