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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel
Autoren: Christian Ditfurth
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in der Hand. Sie liefen nicht schnell, aber zielsicher auf Theo zu. Adrenalin schoss ihm ins Blut. Jetzt musste er um sein Leben laufen. Und wieder fiel ihm ein, was Henri erzählt hatte, als er einmal abtauchen musste. Aber er hatte nie erzählt, wie er aus der Sowjetunion herausgekommenwar. Warum nicht? Und dann dachte er nur noch daran, wie er jetzt fliehen konnte.
    Theo rannte los, schaute demonstrativ mehrfach auf die Uhr, um vorzutäuschen, dass er einen Termin verpasst hatte. Er fand es selbst lächerlich. Er war übermüdet, die würden Verstärkung rufen, und viele Jäger waren des Hasen Tod. Er blickte sich um und sah, dass sie ihm hinterherrannten. Der eine schnatterte etwas in sein Funkgerät. Theo bog nach der Basilius-Kathedrale links ab, entdeckte links eine kleine Straße, lief hinein, sah eine Hofeinfahrt und rannte hinein, wohl wissend, dass er sich in eine Falle begeben haben konnte. Aber er musste jetzt irgendwo verschwinden. Vom Hof führten drei Eingänge in zweistöckige Häuser, eines davon sah verfallen aus, Löcher im Dach, Pappe statt Glas in einigen Fenstern. Theo versuchte die Tür zu öffnen, aber die blockierte ein Vorhängeschloss. Er ging zum nächsten Fenster, riss die Pappe weg, drückte den Fensterrahmen auf und zwängte sich hinein. Als er drinnen war, sah er draußen eine alte Frau, die ihm von Anfang an zugeschaut hatte. Er legte den Zeigefinger an die Lippen, aber sie wandte sich ab und ging zur Toreinfahrt. Sein Schicksal hing nun ab von einer Frau, die gesehen hatte, wie ein fremder Mann in ein Haus eingebrochen war.
    Im Haus standen ein paar alte Möbel herum, es stank nach Kot und Schnaps, offenbar war Theo nicht der Einzige, der es als Zuflucht benutzte. Aber er konnte niemanden entdecken, nur die Reste von selbst gedrehten Zigaretten und ein paar leere Flaschen. Es war bitterkalt. Er schaute aus einem Fenster im zweiten Stock hinunter auf den Hof und sah vor seinem geistigen Auge schon einen Trupp Polizisten heranstürmen. Aber es war niemand da, die Frau war auch verschwunden. Vielleicht hatte sie sich nur gewundert, dass ein Mann, der nicht arm aussah, das Haus als Unterschlupf benutzen wollte. Egal. Was nun?
    Geh ins GUM , das wäre Henris Rat gewesen. Sollte er noch einmal zum Kasaner Bahnhof? Hatte der Mann ihn verpfiffen gegen eine Belohnung? Oder war es Zufall, dass die Polizisten auftauchten, als er den Mann in der Warteschlange traf? Er tippte auf Letzteres, sonst wären mehr Polizisten angerückt. Aber sicher konnte er nicht sein.
    Er fror und hatte Durst und Hunger. Geh ins GUM . Vielleicht sollte er doch in der Botschaft anrufen? Obwohl das Telefon abgehört wurde. Ob der BND ihn rausholen konnte? Vielleicht war die Akte unter seinem Hemd das Risiko wert?
    Er wartete eine Stunde, die nicht vergehen wollte. Er nutzte die Zeit, um weiter in der Akte zu lesen, aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Und doch baute sich allmählich eine monströse Geschichte in seinem Kopf zusammen.
    Endlich glaubte er, die Miliz abgeschüttelt zu haben. Womöglich hatten sie gar nichts von ihm gewollt, sondern waren hinter dem Mann her, wollten nur kontrollieren, sich die Langeweile vertreiben. Konnte doch sein, dass er falsch reagiert hatte. Doch er musste aufpassen. Er schob die Akte unters Hemd.
    Theo verließ das Haus und ging eiligen Schritts aus dem Hof und den Weg zurück, den er geflohen war. Als er den großen Platz erreichte, fiel er in einen Bummelschritt. Schlendernd betrat er das GUM . Während er im Erdgeschoss so tat, als ob er in aller Ruhe die Auslagen betrachtete, nutzte er den Spiegeleffekt der Scheiben, um nach Verfolgern Ausschau zu halten. Anschließend wollte er ins Obergeschoss, um etwas zu trinken und zu essen.
    Als er sich gerade von einem Laden mit russischen Spezialitäten und reichlich Spirituosen abwendete, erkannte er für den Bruchteil von Sekunden ein Gesicht.
    Kurz nachdem Theo das Gesicht gesehen hatte, stürzten sich vier Männer auf ihn, die er zuvor als Passanten kaum beachtet hatte. Der Schock hinderte ihn, sich zu wehren. Es war zu Ende. Jetzt bekam er die Quittung für seine Verrücktheit. Sie würden ihn vermodern lassen in einem Lager, schon weil sie verhindern mussten, dass der Inhalt der Akte bekannt wurde. Solche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während der Körper sich willenlos dem Zugriff fügte. Passanten starrten ihn an, als wäre er ein Kinderschänder oder Massenmörder. Die Leute genossen ihr Entsetzen, je
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