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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen
Autoren: Kathi Appelt
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selbst. Aber nicht hier, nicht in der Oyster Ridge Road, nicht im kleinen Universum. Von dem Augenblick an, als sie mit Meggie Marie vor dem alten Haus am Meer angehalten hatte, hatte sich Signe zu Hause gefühlt.
    Und heute, als sie an dem Gatter des Naturschutzparkes vorbeifuhr, der direkt an die Oyster Ridge Road grenzte, die leere Pfeffersoßenflasche in der Hand, warf sie einen Blick in den Rückspiegel. Sie sah das spukblaue Haus – und hielt den Atem an.
    „Bin ich denn verrückt?“, stieß sie hervor. „Ich habe Mirja allein gelassen!“ Sie trat auf die Bremse. Die Räder quietschten und der Wagen geriet leicht ins Schleudern.
    Signe fuhr an die Seite. Was hatte sie sich dabei gedacht? Sie schlug das Lenkrad ein, wollte wenden … aber dann … dann … dachte sie an Dogie.
    Normalerweise wäre es egal, ob sie Petite Tartines rote Pfeffersoße hatte oder nicht. Das spielte doch keine Rolle. Aber heute musste das Gumbo perfekt sein. Alles musste passen; sie brauchte jede Zutat. Es würde Monate dauern, bis der nächste blaue Mond aufging, und bis dahin hatte sie vielleicht allen Mut verloren. Sie brauchte die Pfeffersoße.
    Sie trat auf das Gaspedal und fuhr in Richtung Stadt, viel schneller als sonst.
    Dreißig Minuten. Länger würde sie bestimmt nicht brauchen.
    Dreißig Minuten. Wenn sie sich beeilte, konnte sie es in fünfundzwanzig oder in zwanzig Minuten schaffen. Sie wusste genau, auf welchem Regal die Pfeffersoße stand. Nur dreißig Minuten.
    Höchstens.
    Mehr nicht.
    11 Sobald Mirja die Autotür zuschlagen und den Wagen wegfahren hörte, packte sie den Griff der Wanne. Eine 60-Liter-Wanne, die teilweise mit Wasser und Krabben gefüllt ist, ist kein Leichtgewicht. Dogie hatte sie getragen, als würde sie nicht mehr als fünf Pfund wiegen, aber als Mirja es versuchte, konnte sie sie kaum bewegen. Trotz der neuen Muskeln, die sie vom Wachsen der Surfbretter bekommen hatte, war die Wanne viel zu schwer für sie.
    Sie musste etwas Wasser ablassen. Die Krabben waren jetzt ruhig, aber sie fühlte ihre Ungeduld. „Ich beeile mich ja“, sagte sie zu ihnen. Eine der größeren Krabben griff mit ihren Scheren aus dem Wasser und schnappte nach ihr. Mirja machte einen Schritt rückwärts und ließ den Griff los. Das Wasser schwappte über den Rand der Wanne auf den Küchenboden. „Mist“, murmelte Mirja. Jetzt musste sie auch noch aufwischen, bevor Signe zurückkam. Sie ging zum Schrank und holte einen Messbecher, um das Wasser abzuschöpfen.
    Dann blieb sie stehen. Alle zehn Krabben fuchtelten mit den Scheren in der Luft herum. Da würde sie auf keinen Fall ihre Hand hineinstrecken. Was jetzt? Was jetzt?!
    Sie schaute auf die Wanduhr über dem Herd. Sie hatte sich nicht gemerkt, wann Signe gegangen war, aber es waren bestimmt schon fünf Minuten vergangen. Die Krabben schienen im Takt des Sekundenzeigers mit den Scheren zu klappern.
    Mirja versuchte wieder, das eine Ende der Wanne anzuheben, aber es hatte keinen Sinn. Die Wanne wog vermutlich genauso viel wie sie selbst. Wahrscheinlich sogar mehr – aber sie hatte keine Zeit, ihr Gewicht mit dem der Wanne zu vergleichen, nein: Die Zeit lief ihr davon!
    Sie hörte, wie es in dem Topf auf dem Herd anfing zu kochen. Mit einem Satz sprang sie durch die Küche und rührte um. Sie klopfte den Kochlöffel an der Seite des Topfes ab und legte ihn dann neben den Herd. Und da fiel ihr Blick auf die große Schale. Signes Holzschale.
    Mirja nannte sie die „Kreiselschale“, denn Signe hatte ihr erzählt: „Als ich ein kleines Mädchen war, hat meine Mutter diese Schale auf den Küchenboden gestellt, mich hineingesetzt und dann die Schale angeschubst, sodass sie sich wie ein Kreisel drehte.“ Es war die Schale von Signes Mutter und das Einzige, was Signe aus Iowa mitgebracht hatte.
    Es gab auch ein Lied dazu, ein Kreisellied.
    Dreh dich, kleiner Schatz,
dreh dich voller Wonne,
dreh dich schneller, lieber Spatz,
bis hinauf zur Sonne.
    Jedes Mal, wenn Signe das Kreisellied sang, lächelte sie. Und dann rieb sie mit ihrer Hand über die Schale.
    Mirja konnte sich eine winzige Signe in der Schale vorstellen.
    So eine große Schale.
    Groß genug für ein kleines Mädchen.
    Groß genug für eine Krabbe – oder zwei.
    Bingo!
    Mirja nahm die Schale und stellte sie neben der Wanne auf den Boden. Dann drückte sie in Gedanken die Daumen und summte vor sich hin: „Hoffentlich ist Speck da, hoffentlich ist Speck da, hoffentlich ist Speck da.“ Dogie hatte ihr gezeigt,
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