Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
diplomatisches Geschick erforderten.
Sie wandte sich an Jennet. »Madame«, sagte sie, »ich bin Eure Schülerin.« Jennet schnaubte hörbar und schüttelte den Kopf, gleichwohl merkte Averil, dass sie erfreut war, was so selten vorkam, dass es beachtenswert war. Binnen kürzester Zeit hatte sie Averil im Salon platziert, inmitten sorgsam ausgewählter Geschenke und Blumen, einem Großteil der Meute den Laufpass gegeben, und die Übrigen zu einer einstündigen Plauderei hereingebeten. Generäle sollten sich an ihrem strategischen Geschick ein Beispiel nehmen. Averil erkannte, dass ihr eine lange, anspruchsvolle Lehrzeit bevorstand. Am heutigen Tag war es ihre Aufgabe, höflich und nach Möglichkeit charmant zu sein. Sie hatte bereits herausgefunden, dass Schweigen und die Andeutung eines Lächelns die Höflinge dazu anregte, geistreich und unterhaltsam zu sein; dann würden sie ihr die gleichen Eigenschaften zusprechen, obwohl sie nichts getan hatte, was diese Anerkennung verdiente.
Während sie damit beschäftigt waren, sie und einander zu bezaubern, beobachtete sie sie hinter der Maske ihres Lächelns. Sie erkannte, wer ein Magier war und wer nicht; wessen Lächeln echt und wessen Lächeln so falsch war wie ihr eigenes. Jennet hatte die Ranghöchsten ausgewählt, aber auch jene, von denen am ehesten zu erwarten war, dass sie von Nutzen sein konnten: Gebieter von Höfen und Konzilen, und Prinzen und andere hochgestellte Herrscher, die auf der Suche nach einer Ehefrau waren. Mit Interesse stellte sie fest, dass keiner von ihnen unter jener Schwäche litt, die im Jahr zuvor so verbreitet gewesen war: dem Mangel an Geist und Willenskraft gegenüber der Hexerei des Königs. Dieses Gebrechen war im Süden und Westen Quitaines und in all den Ländern rund um Lys weit verbreitet. Aber diese adligen Herren des Ostens und Nordens hatten ihre Sinne offenbar noch recht gut beieinander.
Es schien, als ob der König das Herz seines Reiches bislang reingehalten hatte. Das würde sicherlich nicht von Dauer sein. Dies war ein Rätsel und gleichzeitig ein möglicher Vorteil.
Jennet gewährte ihnen genau eine Stunde. Als das letzte Sandkörnchen das Stundenglas durchlaufen hatte, trieb sie alle aus dem Zimmer — bis auf einen ruhigen Mann, der wachsam und abwartend an der Tür gestanden hatte. Er hatte nichts Auffälliges an sich. Er war ein Magier, doch das waren auch viele andere. Er war schlicht und zweckmäßig gekleidet, ganz anders als die typischen geckenhaften Höflinge, und er sah aus, als könnte er ein Schwert führen.
Nach all den adligen Paradiesvögeln war sein Anblick wie ein Hauch von vertrauter Luft. Seine Verbeugung war anmutig, aber nicht affektiert, und die Rose, die er Averil überreichte, war von blutroter Farbe.
Averil zog die Brauen hoch. Er beugte sich über ihre Hand.
»Dylan Fawr von Caer Usk in Prydain«, stellte er sich vor. »Ich überbringe Euch die Grüße meiner Königin und all derer, die unsere Insel in ihrem Namen verteidigen.«
Die Rose war gerade erst aufgegangen; ihr Duft war von himmlischer Süße. Erst als Averil die Blüte zwischen den Fingern drehte, entdeckte sie einen klaren Edelstein — ein Kristall. Er glitt in ihre Hand und von dort in ihr Mieder, wo er kühl und hart auf ihrer Haut lag und vor Magie summte. »Ich bin erfreut«, sagte sie, »Eure Bekanntschaft zu machen. Werdet Ihr mich ein weiteres Mal besuchen?«
»Wenn Eure Hoheit das wünschen«, sagte Dylan Fawr.
»Ihre Hoheit wünscht es«, erwiderte sie.
»Dann werde ich wiederkommen«, sagte er. »Mögt Ihr Rosen, Herrin? Die Gärten hier sind berühmt. Sie sind ein wenig ins Kraut geschossen in den letzten Jahren, aber sie sind immer noch schön.«
»Ich würde sie gern sehen«, sagte sie. »Irgendwie ist es ein Wunder, dass sie erhalten blieben, nicht wahr?«
»Es gibt einige, die sie noch pflegen«, erwiderte er, »obwohl ein kalter Wind weht und die Herzen der Menschen zu Stein wurden.«
»Aber nicht hier«, sagte sie.
»Hier mehr als irgendwo anders«, sagte Dylan Fawr.
Averil warf ihm einen prüfenden Blick zu, fragte ihn jedoch nicht, was er damit meinte. Ausgerechnet hier in Lutece konnte es keine Ritter mehr geben. Aber Verbündete und Freunde schon — das konnte sie glauben, so wie sie glaubte, dass dieser Mann einer von ihnen war.
Sie reichte ihm die Hand zum Kuss und verabschiedete ihn. »Wir werden uns wiedersehen, Comtesse«, sagte er.
»Das hoffe ich sehr«, sagte Averil.
Nachdem er fort war,
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