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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab
Autoren: Nadja Quint
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sie es bereits tat, blieb ihr nur die Hoffnung, dass er sich an sein neues Heim schon gewöhnen würde.
    Fine nahm Basti auch oft mit ins Haus der Schwarzen Marjann, die nichts einzuwenden hatte gegen den kleinen Gast. Doch einmal, als Fine den Mut fasste, zu fragen, ob Marjann nicht auch Basti ganz bei sich aufnehmen könne, wehrte sie entschieden ab.
    Fine wagte nicht, weiter nachzufragen, aber sie dachte sich ihren Teil: Vermutlich war es wegen Hannes, der nach Amerika ausgewandert war. Marjann sehnte sich so nach ihrem Sohn, sicherlich scheute sie sich, nun einen anderen Jungen in ihrem Haus wohnen zu lassen. Das konnte Fine verstehen. Darum fragte sie nicht weiter, sondern nahm es hin, dass Basti abends immer wieder zum Ravenzacher zurück musste.

Allerheiligen
    Es war kurz vor Allerheiligen, als die Schwarze Marjann zu den Kindern sagte: »Jetzt holt ordentlich Vogelbeeren, wir brauchen sie auf dem Friedhof, um die Gräber schön herzurichten. Ihr wisst: Zu Allerheiligen und Allerseelen wollen wir der Toten gedenken und ihnen einen Ehrentag bereiten, deswegen schmücken wir ihre Ruhestätten.«
    »Ich weiß, wo ich Vogelbeeren holen kann«, rief Basti mit wahrhaft gieriger Freude und rannte so schnell zum Dorf hinaus, dass Fine ihn kaum einholen konnte. Als sie am elterlichen Haus ankam, saß Basti schon oben in der Eberesche und neckte Fine stolz, sie solle nur heraufkommen. Denn er wusste, dass Fine das nicht konnte, sie war im Klettern ungeschickt. Er pflückte nun die roten Beeren und warf sie hinab zur Schwester, die so viel sammelte, wie sie in ihrer Schürze tragen konnte. Damit kehrten die beiden Kinder ins Haus der Schwarzen Marjann zurück.
    Freundlich nahm die alte Frau die Kinder an der Hand und führte sie hinaus zum Friedhof. Die beiden Erdhügel, unter denen die Eltern lagen, waren wieder kahl. Kränze und Blumen, die noch zur Beerdigung die Grabstätte geschmückt hatten, waren inzwischen verwelkt. Der Friedhofsdiener hatte sie abgeräumt.
    Mit einem Stock machte Marjann nun Furchen in Kreuzesform auf die Gräber und wies die Kinder an, die Beeren dort hineinzustecken. Basti erledigte hastig die Aufgabe und triumphierte, als er früher damit fertig war als seine Schwester. Die schaute ihn nur groß an und erwiderte nichts.
    Erst als Basti sagte: »Das wird den Vater freuen«, schlug Fine ihm ärgerlich auf den Rücken und rief: »Sei still!«, und Basti begann zu weinen.
    Marjann, die alles gut beobachtet und längst verstanden hatte, was in den Seelen der armen Kinder vor sich ging, ermahnte Fine in gutmütiger Weise: »Er ist noch ein wahres Kind, dein Bruder. Er begreift noch nicht, dass eure Eltern nie mehr wiederkehren.«
    Da schlang Fine die Arme um Basti und bat um Verzeihung. »Ich verspreche dir, dass ich für dich mein Leben lang alles tue, was ich kann, und dir alles geben will, was ich habe. Und ich will dir nie wieder weh tun, mein lieber Bruder«, und sie wandte sich zu den Gräbern, auf denen die roten Beerenkreuze prangten und rief: »Oh Mutter, oh Vater, ich will brav sein, ich verspreche es euch.« Sie konnte nicht weiterreden, weil ihr die Gefühle die Worte nahmen, aber auch weinen konnte sie nicht.
    Die Schwarze Marjann sah, dass ein Herzstoß nach dem anderen das Mädchen durchfuhr, und erst als die alte Frau selbst zu weinen begann, konnte auch das Mädchen seine Tränen laufen lassen.
    Gemeinsam brachten sie Basti zum Haus des Ravenzachers. Beim Gute-Nacht-Sagen raunte Fine ihm ins Ohr: »Du musst endlich begreifen, unsere Eltern sind tot. Wir sehen sie nie mehr auf dieser Welt.«
    Und er nickte, als würde er es jetzt annehmen können.
    An diesem Abend saß die Schwarze Marjann lange bei Fine am Bett und hielt ihre Hand.
    »Ich meine, ich falle und falle immerfort, bleibt nur bei mir, Tante«, jammerte Fine. Sie hielt die Hand der alten Frau fest und begann zu schlummern.
    Aber so oft die Quartiersmutter auch ihre Hand zurückziehen wollte, haschte Fine wieder danach. Marjann verstand, was das Empfinden vom endlosen Fallen bei dem Kind zu bedeuten hatte: So erwachsen Fine auch zum Bruder geredet hatte, musste sie doch selbst noch den Tod der Eltern begreifen und die Angst darüber bewältigen.
    Erst spät gegen Mitternacht konnte Marjann das Bett des Kindes verlassen. Ein strenger Trotz lag auf dem Gesicht der schlafenden Fine, und als die alte Frau ihre eigene Hand von der des Kindes endlich zurückzog, sagte sie halblaut vor sich hin: »Möge nur immer ein Auge über
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