Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen.
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
weiterschlängelte, prallte ihr Rucksack plötzlich gegen den Stamm - bums.
    »Hol's der Teufel!« flüsterte sie (das war gegenwärtig Pepsis und ihre bevorzugte Verwünschung - sie klang irgendwie nach englischem Landhausstil) und kroch zurück. Sie richtete sich kniend auf, wischte die feuchten Blätter von ihrem Trikot und merkte dabei, daß ihre Finger zitterten.
    »Ich habe keine Angst«, sagte sie und sprach bewußt laut, weil der Ton ihrer flüsternden Stimme ihr ein wenig unheimlich war. »Überhaupt keine Angst. Der Wanderweg ist gleich dort vorn. In fünf Minuten bin ich da und renne los, um die beiden einzuholen.« Sie nahm ihren Rucksack ab, schob ihn vor sich her und machte sich erneut daran, unter dem alten Baumstamm hindurchzukriechen. Als sie schon halb draußen war, bewegte sich etwas unter ihr. Sie senkte den Kopf und sah eine dicke schwarze Natter, die sich durchs Laub davonschlängelte. Einen Augenblick lang gingen sämtliche Gedanken in ihrem Kopf in einer lautlosen weißglühenden Explosion aus Abscheu und Entsetzen unter. Ihre Haut wurde eiskalt, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie konnte das eine Wort - Schlange - nicht einmal denken, sondern nur fühlen, wie es kühl unter ihrer warmen Hand pulsierte. Trisha stieß einen Schrei aus und versuchte aufzuspringen, ohne daran zu denken, daß sie noch nicht unter dem Baumstamm heraus war. Ein Aststumpf von der Dicke eines amputierten Unterarms rammte sich ihr schmerzhaft ins Kreuz. Sie warf sich wieder auf den Bauch und wand sich so rasch wie möglich unter dem Stamm hervor, wobei sie vermutlich einer Schlange ziemlich ähnlich sah.
    Das gräßliche Ding war verschwunden, aber der Schreck saß ihr noch in den Gliedern. Es war genau unter ihrer Hand gewesen, in moderndem Laub versteckt und genau unter ihrer Hand. Offenbar nicht giftig, Gott sei Dank. Aber was war, wenn es hier mehr davon gab? Was war, wenn sie giftig waren? Was war, wenn der Wald voll von ihnen war? Und natürlich war er das - jeder Wald war voll von allem, was man nicht mochte, von allem, vor dem man sich fürchtete und das man instinktiv haßte, von allem, was einen mit grausiger, unüberlegter Panik zu überwältigen versuchte. Weshalb hatte sie jemals zugestimmt, mitzukommen? Nicht nur zugestimmt, sondern fröhlich zugestimmt? Sie riß ihren Rucksack am Tragriemen hoch, hastete weiter, während er gegen ihr Bein schlug, und sah sich mißtrauisch nach dem umgestürzten Baum und den mit Laub bedeckten freien Flächen zwischen den Bäumen um, weil sie fürchtete, die Schlange zu sehen, und weil sie sich noch mehr davor fürchtete, sie könnte ein ganzes Bataillon von ihnen sehen - wie Schlangen in einem Horrorfilm: Invasion der Külerschlangen mit Patricia McFarland in der Hauptrolle, die spannende Geschichte eines kleinen Mädchens, das sich im Wald verirrt und ...
    »Ich habe mich nicht i...«, begann Trisha, und weil sie hinter sich schaute, stolperte sie über einen Felsbrocken, der aus dem laubbedeckten Waldboden ragte, taumelte, schwenkte bei dem vergeblichen Versuch, ihr Gleichgewicht zu bewahren, den freien Arm, der nicht ihren Rucksack hielt, und fiel dann doch hin. Dabei durchzuckte sie ein heftiger Schmerz, der von ihrem Rücken ausging, von der Stelle, wo der Aststumpf sie gerammt hatte.
    Sie lag seitlich im Laub (es war feucht, aber nicht richtig igitt-matschig wie das Laub in dem Tunnel unter dem umgestürzten Baum), atmete keuchend und spürte ihren Puls zwischen ihren Augen hämmern. Plötzlich wurde ihr bedrückend klar, daß sie nicht mehr wußte, ob sie in die richtige Richtung lief oder nicht. Sie hatte sich ständig umgesehen und konnte dabei die Orientierung verloren haben.
    Dann geh zu dem Baum zurück. Dem umgestürzten Baum.
    Stell dich dorthin, wo du unter ihm rausgekommen bist, und sieh geradeaus - das ist die Richtung in die du gehen mußt, die Richtung zum Hauptweg.
    Aber stimmte das? Warum hatte sie den Hauptweg dann nicht schon erreicht?
    In ihren Augenwinkeln brannten Tränen. Trisha drängte sie energisch blinzelnd zurück. Begann sie zu weinen, würde sie sich nicht mehr einreden können, sie habe keine Angst. Begann sie zu weinen, konnte alles Mögliche passieren. Sie ging langsam zu dem umgestürzten, mit Moos bewachsenen Baum zurück; es widerstrebte ihr, auch nur einige Sekunden lang in die falsche Richtung zu gehen, es widerstrebte ihr, dorthin zurückzugehen, wo sie die Schlange gesehen hatte (giftig oder nicht, sie verabscheute sie),
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher