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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
Autoren: Random House
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auch so.«
    Madeleine nickte bedauernd, denn sie wäre lieber geblieben und hätte ihm weiter geholfen.

Unweit Schloss Moulins,
Januar 1566,
fast zwei Jahre später …

7
    D ie Frau, die am späten Abend mit schnellen Schritten durch das Palais de Guise-Lorraine eilte und in das Gemach des Kardinals stürzte, war von ausnehmender Schönheit. Selbst die Wut, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, konnte der Anmut ihrer Erscheinung nichts anhaben. Mit einer aufgebrachten Geste riss sie sich die Kapuze ihres nerzgefütterten Umhangs vom Kopf, während sie dem Kardinal, Charles de Lorraine, und seinem Bruder Claude, Herzog d’Aumale, einen vernichtenden Blick zuwarf.
    »Weder der Medicinoch Euch werde ich jemals verzeihen, so gedemütigt worden zu sein. Einzig mein fünfzehnjähriger Sohn hat es gewagt, sich wie ein Mann zu verhalten!«, stieß Anne d’Este hervor, die keine andere als die Witwe des Herzogs de Guise war.
    In ihrer Stimme schwang der Zorn über die Erniedrigung, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen. Coligny war freigesprochen worden! All die Jahre, in denen sie und der Clan der Guise Beweise gesammelt, Richter bestochen und sich in jeder nur erdenklichen Weise bemüht hatten, beim König eine Verurteilung des Mörders ihres Mannes zu erzwingen, waren unwiderruflich verloren. Und nun hatten sie nicht nur eine bittere Niederlage erlitten, sondern waren auch noch gezwungen worden, sich öffentlich mit ihren Erzfeinden, diesen protestantischen Ketzern, dem Admiral de Coligny und seinen beiden Brüdern, zu versöhnen. Den Mördern ihres Gemahls! Es war Anne d’Este anzusehen, dass sie am liebsten den nächstbesten Gegenstand durch den Raum geschleudert hätte, doch stattdessen wandte sie sich zum Kardinal, der mit dem Tod ihres Gatten das Familienoberhaupt der Guise geworden war. Wie stets schien seine hochgewachsene Gestalt mit dem ebenmäßigen Gesicht die Ruhe selbst, was sie nur noch mehr aufbrachte.
    »Wie konntet Ihr diesem Mann nur die Hand reichen!«, fuhr sie ihn an.
    »Was hättet Ihr vorgeschlagen? Dass man vor den Augen des Königs über ihn herfällt?«, erwiderte Claude, Herzog d’Aumale, anstelle seines Bruders. Missmutig blickte er sie aus seinen schrägen Augen an. Seine kräftige, breitschultrige Figur verriet die Jahre, die der drittgeborene der Guise-Brüder im Kampf verbracht hatte. Er empfand die erzwungene Versöhnung kaum weniger demütigend als seine Schwägerin. Alle wussten, dass er von Anfang an dafür gewesen war, die Angelegenheit selbst zu regeln. Und nun dieses Urteil! Er war bei der Verkündung nicht einmal dabei gewesen, denn der König hatte seine Anwesenheit für unerwünscht erklärt. Aus Angst, die Guise könnten das Urteil nicht akzeptieren, hatten Charles IX. und seine Mutter, die Medici, die Anzahl der beteiligten Personen so gering wie möglich gehalten. Die verfeindeten Parteien hatten nur unter strengsten Anordnun gen überhaupt nach Moulins reisen dürfen, und es war ihnen an gekündigt worden, dass demjenigen, der wagte, die Hand an die Waffe zu legen, der Tod drohte.
    Charles de Lorraine hatte schweigend den Wortwechsel der bei den verfolgt und erhob sich nun aus seinem Stuhl. Das flackernde Kaminfeuer warf sein Licht auf die purpurrote Kardinalsrobe, die ihn umhüllte. Er schätzte seine Schwägerin. In den letzten Jahren war er überrascht gewesen zu entdecken, wie intelligent sie zu taktieren wusste. Sie hatte alles richtig gemacht – sich dem König bald Hilfe suchend als Witwe präsentiert, die im Namen ihrer Kinder Gerechtigkeit erflehte, und es dann wieder zum richtigen Zeitpunkt verstanden, mit ihrem Gefolge die Macht und Stärke des Hauses Guise zu präsentieren, das einem Königshaus ebenbürtig war. Doch Michel de l’Hospital, der Kanzler der Medici, hatte den Rat geschickt zugunsten der Protestanten zu beeinflussen gewusst. Zu viele von ihnen befürchteten, dass sie, die Guise, erneut zu mächtig werden und eines Tages sogar nach der Krone trachten könnten. Allen voran die Königinmutter, darüber war sich Charles de Lorraine völlig im Klaren.
    Er war einen Schritt auf seine Schwägerin zugegangen und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Wir hatten keine Wahl, Anne! Das Urteil des Königs nicht zu akzeptieren hätte unser aller Untergang bedeutet«, sagte er ruhig. »Coligny wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen, glaubt mir!« Seine Augen verdunkelten sich unwillkürlich, als er die unschöne Szene im Saal noch einmal vor
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