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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Lyne
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Marienkirche am Markt verlas. Magda verstand kein Latein, doch um die Wahrheit des verlesenen Wortes zu spüren, brauchte sie nichts zu verstehen. Genauso verhielt es sich mit Endres und ihr: Sie gehörten zusammen, das spürte sie, ohne dass je Verständliches dazu gesprochen worden war.
    Endres war Großvaters Patensohn, der Enkel seines engsten Freundes. Jener war Kannengießer gewesen, bis sein Haus aus Fachwerk an einem glutheißen Sommertag Feuer fing und restlos niederbrannte. Der Kannengießer, sein Sohn und die Schwiegertochter verloren in den Flammen ihr Leben, der einzige Enkel aber kam mit dem Todesschrecken davon. Schwarz vom Ruß und auf allen vieren hatte er sich in die Braugasse geschleppt und an ihre Tür geklopft. Magdas Vater hatte angeboten, ihn aufs Kloster nach Chorin zu bringen, wo sich die frommen Brüder um Waisenkinder kümmerten, aber der Großvater war ihm über den Mund gefahren: »Das arme Wurm ist mein Patensohn, das kommt mir zu keinem Klosterbruder nicht«, bestimmte er. »Unter meinem Dach bleibt’s. Wo wir vier nicht verhungern, wird auch ein Fünftes satt, satt.«
    Der Großvater hasste sämtliche Klosterbrüder, ob sie nun Zisterzienser aus Zinna, Chorin und Lehnin oder Franziskaner aus dem Grauen Kloster in Berlin waren. Dieser Hass, den Utz von ihm geerbt hatte, rührte daher, dass die Klöster keinen Bierpfennig entrichten mussten und ihr Bier daher billiger verkaufen konnten als die städtischen Brauer. Auch vom Brauverbot, das drohte, wenn nach Unwettern und Missernten das Getreide knapp war, blieben die Klöster ausgenommen, was den Großvater erst recht erzürnte.
    »Unsereins bringen die um Lohn und Brot«, schimpfte er. »Dabei sollen die doch wohl von Gottes Gnaden leben wie Vögel auf dem Feld! Mir jedenfalls bleiben die vom Leib, und den Endres kriegen sie im Leben nicht. Der kann bei mir das Brauerhandwerk erlernen, solider und herzhafter als bei den panschenden Kuttenträgern, Kuttenträgern!«
    Da im Haus der Großvater, nicht der Vater das Sagen hatte, war es so gekommen. Mittlerweile war Endres achtzehn Jahre alt und hatte acht davon unter ihrem Dach, hinter dem sechszackigen Stern der Bierbrauer verbracht. Der Großvater pflegte zu sagen, von den vier Jungen, die unter seiner Obhut heranwuchsen, sei allein der Endres zum Brauer geboren, und er sagte es besonders gern, wenn Utz oder Diether es hörten.
    Endres hatte keinen Besitz auf der Welt. Das Grundstück, das er von seinen Eltern hätte erben sollen, zog ein Gläubiger ein, und sonst war nach dem Brand nichts geblieben. Aber er besaß seinen Fleiß und den festen Willen, dem Großvater die erwiesene Wohltat zu vergelten. Neben der Arbeit im Brauhaus setzte er sich, so oft es seine Zeit erlaubte, ans Schreibpult, um sich ins Gebiet der Buchführung einzufinden. Der Großvater hatte darauf nie Zeit verwendet, aber neuerdings entdeckten immer mehr Handwerker, dass solche Kenntnisse von Nutzen waren. Utz verfügte längst darüber, und Endres setzte alles daran, sie sich anzueignen.
    Er war schlank, beinahe zierlich, hatte weiche, rehbraune Locken, und der Blick seiner Augen berührte Magda tiefer als gedrechseltes Geplapper. Jetzt blieb er stehen und erwiderte ihr Lächeln. Die Zeit hielt inne, doch gleich darauf galoppierte sie schon wieder voran. »He, Endres, willst du Wurzeln schlagen?«, rief Diether. »Wenn du hier weiter bummelst wie ein Mädchen, ist die Panke leer geschöpft, bevor wir kommen.«
    Hastig schwang Endres herum und folgte Diether aus dem Haus. Gleich darauf hallte Gelächter durch die taufrische Luft des Morgens. Unter ihren Brüdern war Diether Magda der Liebste, doch in diesem Augenblick hätte sie ihn zum Teufel schicken wollen. Gewiss, Endres war sein Freund, er stand ihm näher als Lentz und Utz, von denen er sich gemaßregelt fühlte, aber konnte er deshalb seiner Schwester nicht den allerkleinsten Augenblick mit ihm allein gönnen?
    Aufseufzend machte sie sich daran, den Tisch, an dem sie ihre Hirsegrütze gegessen und Dünnbier getrunken hatten, abzuräumen. Die hölzernen Näpfe und Krüge trug sie Barbara hin, die über der gemauerten Feuerstelle im Kessel rührte und sie später auswaschen würde. »Na, mein Kälbchen?«, fragte die Großtante und wandte sich ihr zu. »Was bedrückt dich denn?«
    »Nichts«, erwiderte Magda, auch wenn ihr auf einmal beklommen zumute war, weil sie glaubte, Barbaras Stimme zu hören, wie sie ihr im Traum Lebewohl wünschte. »Kochst du Milchsuppe?
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