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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Lyne
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Schilfs Flöten zu schnitzen und darauf die Lieder der Vögel und des plätschernden Baches nachzuspielen, und er sprudelte über vor Geschichten, denen sie in eisigen Nächten atemlos lauschte.
    Zu ihrem Leidwesen gehörte zu dieser hellen, sprühenden Wesensart jedoch eine zweite, eine finstere Seite: Diether hatte etwas von einem Tunichtgut, einem Draufgänger, der über die Stränge schlagen musste, um nicht vor Langeweile zu vergehen. Seit dem Tag, an dem Diether den Vater mit aufgeschlitztem Hals im Moor gefunden hatte, waren die Kräfte in ihm aus dem Gleichgewicht geraten. Jäh sah sie ihn vor sich, wie er an jenem Morgen vor dem Haus gestanden hatte, das Hemd vom Saum bis zum Hals mit Blut verschmiert, Mund und Augen aufgerissen, nicht fähig, einen menschlichen Laut herauszubringen.
    Seither gewann das Dunkle, das Gefahrvolle in ihm immer häufiger die Oberhand. Nicht nur sich selbst brachte er damit in Schwierigkeiten. Magda und Endres hatten ihm heimlich schon aus so mancher Klemme geholfen, damit die verdiente Strafe ihm erspart blieb. Aber Diether war schließlich erst achtzehn – mitten in der Gärung wie das junge Bier! Mit den Jahren und mit einem Freund wie Endres als Vorbild würde er die Reife, die ihm fehlte, gewiss noch erringen.
    Magda umarmte den Großvater noch fester und beschloss, ihm bei der Erfüllung seines Versprechens nach Kräften zu helfen, auch wenn sie ihn nichts davon spüren lassen durfte.
    »Und um deine Mitgift, Kälbchen, da mach dir mal keinen Kopf«, fuhr der Großvater jetzt wieder voll Zuversicht fort. »Für die ist bestens gesorgt. Nicht nur deine Würzepfanne bekommst du, wie von alters her eine jede Tochter der Harzers, sondern jeglichen Hausrat und Geld obendrein. Seit Jahren hab ich das alles erspart und in meiner Truhe verschlossen, und an diese Truhe kommt mir keiner. Der verdammte Propst Nikolaus nicht, und wenn er tausendmal schreit, wir führen alle zur Hölle, weil wir der Kirche nicht genug in den Rachen werfen. Und der Utz, der mir in den Ohren liegt, wir müssten unbedingt Handel treiben, erst recht nicht. Die Truhe bleibt verschlossen, bis mein Kälbchen seinen Hirschen findet, so wahr ich Seyfrid, der Harzer, heiße, heiße.«
    Die Angewohnheit des Großvaters, am Ende einer Rede oder eines Gesprächs ein Wort zweimal oder gar dreimal zu sagen, war nützlich, denn so wusste Magda stets, wann er fertig war. Um ihre Mitgift hatte sie sich in Wahrheit nie gesorgt. Endres schließlich würde sie nicht um ihres Besitzes willen nehmen, sondern weil Gott sie füreinander bestimmt hatte, seit dem Tag ihrer Geburt. Dennoch dankte sie dem Großvater und warf sich ihm noch einmal in die Arme. Über den Traum, den sie in der Nacht vor Barbaras Tod gehabt hatte, sprach sie weder mit ihm noch mit einem von den anderen, und mit der Zeit vergaß sie ihn.
    In den nächsten Monaten geschah ohnehin so viel, dass für Träume kein Platz blieb. Die Ernte im folgenden Sommer ersoff in Strömen, die sich aus dem Himmel ergossen, und in Fluten, die über die Ufer der Panke quollen. Eine solche endlose Kette von Unwettern hatten selbst die Ältesten unter den Bernauern nie zuvor gesehen, und Propst Nikolaus wetterte in der Marienkirche von der Strafe Gottes, die über die Brandenburger gekommen war, weil sie der Kirche zu wenig Spenden entrichteten und weil ihr Landesherr es wagte, sich gegen den Heiligen Vater aufzulehnen.
    »Himmelschreiender Unsinn«, lästerte der Großvater. »Das Wetter tut, was es will, so ist es immer gewesen, und der verdammte Pfaffe soll aufpassen, dass Gott keinen Hagelstein schickt und ihm sein unsägliches Schwatzmaul stopft, stopft.«
    Im Herbst aber wurde das Gemunkel von der Strafe Gottes lauter, denn es geschah, was die Zunft der Brauer seit Langem befürchtet hatte: König Ludwig in Bayern sprach für seinen minderjährigen Sohn, den er mit der Mark Brandenburg belehnt hatte, ein Brauverbot aus. Nach der Missernte sei das Getreide knapp, hieß es in der Erklärung, die auf dem Markt verlesen wurde, es müsse gespart werden, um das Volk zu nähren, und Bier gebe es derzeit nur noch von den Klöstern zu kaufen.
    »Und wovon sollen wir jetzt leben?«, wetterte der Großvater und raufte sich das schlohweiße Gestrüpp von Haar. »Bei Gott, dem Allmächtigen, unter Markgraf Waldemar hätte es so was nicht gegeben – nie und nimmer hätte ein Askanier seine Bierbrauer hungern lassen, nie und nimmer, nimmer, nimmer!«
    Am Sonntag in der Messe predigte
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