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Das Locken der Sirene (German Edition)

Das Locken der Sirene (German Edition)

Titel: Das Locken der Sirene (German Edition)
Autoren: Tiffany Reisz
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Wahnsinn?“, fragte Zach.
    „Nein. Glücklich sein.“
    „Glücklich sein?“ Zach erlaubte sich ein verbittertes Grinsen. „Ich fürchte, dafür ist mein Gedächtnis einfach zu gut.“
    Zach ließ J. P. zurück und kehrte in sein eigenes Büro zurück. Seine Assistentin Mary hatte ihm ein Paket auf den Schreibtisch gelegt. Er öffnete den großen Umschlag, und Nora Sutherlins Manuskript fiel zusammen mit einem dünnen Schnellhefter heraus. Auf die Vorderseite des Hefters hatte Mary eine Notiz geklebt:
Chef, hier ist das Buch nebst Bio von N. S
.
    Zach öffnete den Schnellhefter und überflog Sutherlins Biografie. Sie war dreiunddreißig Jahre alt, also ungefähr zehn Jahre jünger als er. Ihr erstes Buch hatte sie mit neunundzwanzig veröffentlicht. Seither waren fünf weitere Bücher gefolgt. Ihr zweites Buch, das den schlichten Titel
Rot
trug, hatte für eine kleine Sensation gesorgt – großartige Verkaufszahlen, ein ordentlicher Medienrummel. Zach schaute sich die Zahlen an, die dem Hefter beigefügt waren. Jetzt verstand er, warum J. P. so sehr darauf drängte, sie unter Vertrag zu nehmen. Mit jeder folgenden Veröffentlichung hatten sich ihre Verkaufszahlen beinahe verdoppelt. Zach dachte an das wenige, was er über Erotikautorinnen wusste. Aktuell war Erotik so ziemlich der einzige Wachstumsmarkt in der Buchbranche. Aber beim Verlegen sollte es nicht ums Geld gehen. Sondern um die Kunst.
    Zach warf Sutherlins Biografie und ihre Verkaufszahlen in den Papierkorb. Seine Philosophie, was das Lektorieren anging, hatte er sich von der alten New-Criticism-Bewegung abgeschaut. Es ging allein ums Buch. Nicht um den Autor, nicht um den Markt, nicht um den Leser – ein Buch wurde allein anhand des Buches beurteilt. Er sollte ihm also egal sein, dass Gerüchte besagten, Nora Sutherlins Privatleben wäre genauso heiß und sinnlich wie ihre Prosa. Einzig ihr Buch zählte. Und dafür hegte er keine allzu großen Hoffnungen.
    Skeptisch musterte er das Manuskript. Mary wusste, er bevorzugte es, Bücher gedruckt zu lesen. Aber dieses Mal spürte er förmlich den Spaß, den es ihr bereitet hatte, die Seiten inklusive Deckblatt für ihn auszudrucken. Quer über das scharlachrot gehaltene Cover erstreckte sich in greller Gothikschrift der Titel
Der Trostpreis
. Fast ausnahmslos alle Lektoren änderten den Titel eines Buchs vor seinem Erscheinen noch. Aber er musste zugeben, dass es eine interessante Wahl für einen Erotikroman war. Er schlug das Manuskript auf und las den ersten Satz:
Ich will diese Geschichte ebenso wenig aufschreiben, wie du sie lesen willst
.
    Zach hielt inne, als er den Schatten von etwas Altem und Vertrautem spürte, das sich flüsternd über seine Schulter schob. Er verdrängte das Gefühl und las den Satz ein zweites Mal. Dann den nächsten und den nächsten …

2. KAPITEL
    A n manchen Tagen hasste Zach seinen Job. Er liebte es, zu redigieren, einen Roman mit dem Anspruch der Großartigkeit zu etwas wirklich Großem zu machen. Aber er hasste das Politisieren, die Budgetkrisen, hasste es, einen guten, aber nur mittelmäßig verkaufenden Autor gehen zu lassen, um Platz für einen besser verkaufenden Schreiberling zu schaffen. Und doch war er jetzt hier, irgendwo in Connecticut, um sich mit einer verrückten Autorin von Schweinkram-Romanen zu treffen, der es irgendwie gelungen war, einen der am meisten respektierten Verleger des Landes davon zu überzeugen, dass sie den besten Lektor verdient hatte. Ja, an manchen Tagen hasste Zach seinen Job. Und heute hatte er das Gefühl, sein Job erwidere diesen Hass.
    Zach parkte J. P.s Wagen in einer ruhigen Seitenstraße vor einem idyllischen zweigeschossigen Häuschen im Tudorstil. Er warf noch einmal einen Blick auf die Adresse, die er sich notiert hatte, und schaute dann wieder zum Haus. Hier lebte Nora Sutherlin, die berüchtigte Autorin erotischer Romane, deren Bücher genauso oft auf die schwarze Liste kamen, wie sie übersetzt wurden? Zach konnte sich in dem Haus eher seine Großmutter vorstellen, wie sie die Kinder der Nachbarschaft mit Keksen und Tee zwangsbeglückte.
    Mit einem schweren Seufzer ging er zur Haustür und drückte auf die Klingel. Kurz darauf hörte er Schritte – feste männliche Schritte. Für einen Augenblick gab er sich der köstlichen Vorstellung hin, dass
Nora Sutherlin
das Pseudonym für einen übergewichtigen Mann in den Fünfzigern war.
    Und tatsächlich öffnete ihm ein Mann die Tür. Nein, kein Mann – ein Junge. Ein Junge in
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