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Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Titel: Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
Autoren: Erik Kellen
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verknotete die Lederbänder an der Öffnung, schlang sich die Schlaufe über die Schulter. An der Tür drehte er sich noch einmal um, zu ihr. Angst und Zweifel hielten ihn für einen Moment gefangen.
    »Ich komme gleich wieder. Warte bitte auf mich, mein Himmel, mein Stern. Warte auf mich!« Leise verriegelte er die Tür und machte sich auf den Weg zur Oberfläche.
     
    Sam hastete die in Kurven verlaufenden runden Eistunnel entlang. Ein schmaler Schienenstrang verlief am Boden und daneben ein ebenso enger Laufgang aus Holz. Menschengemachte Adern im blauen Schimmern des Eises. Ein sanfter, aber steter Anstieg hinauf in die weiße Hölle. Mit jedem Schritt wurde der Rucksack schwerer, als wolle sein Inhalt diesen Ort nicht verlassen, oder gar ihn? Sam wechselte den Riemen immer wieder von einer Schulter zur anderen, während seine Schritte dumpf von den Wänden des Tunnels widerhallten.
    An einer scharfen Kurve hielt er keuchend inne, stieg dann die Treppe hinauf, die Arbeiter vor vielen Jahren ins Eis geschlagen hatten, klammerte sich mit der einen Hand an das Eisengeländer, das in der Tunnelseite wie ein dunkles Seil steckte und kämpfte sich weiter vorwärts, ein drängendes Summen in den Eingeweiden. Kreuz und quer verliefen diese Treppenfluchten, die zur Belüftung gebaut worden waren. Der schneidend kalte Wind fand zwar einen Weg hinein, aber man zwang ihn sooft in eine andere Richtung, bis er nur noch für frische Luft sorgte, nicht mehr.
    Mit jeder Abzweigung wurde das Eis um ihn herum heller, leuchtete in anderen Blautönen. Nur für einen Moment verschnaufen, nur ganz kurz. Jetzt erklang das erste Wispern des Windes. Hier hatte er wieder eine Stimme und sie wurde mit jeder Treppe hinauf lauter, kälter und gnadenloser. Nun bemerkte Sam den Biss des Winters. Er hatte seine Schutzkleidung dort unten bei seiner Frau gelassen, war nur dem Ruf der Magie gefolgt, nicht der Notwendigkeit, dabei nicht zu erfrieren. Er wickelte den dicken Schal um Kopf und Mund, rannte weiter. Der Wind wurde nun ein Heulen. Eine ungezügelte Kraft, die Spalten ins ewige Eis treiben konnte. Die letzte Biegung und er prallte mitten in das Jaulen hinein. Hier war ein langer, gerader Tunnel gebaut worden, ummantelt mit Stahl und Beton, verkleidet mit Eisenholz. Ein lang gezogener Schacht, an dessen Ende die weiße Hölle ein milchiges Auge zu ihm warf.
    Sam bekam kaum noch Luft, die Kälte brannte in seinen Lungen, trieb Tränen auf die Wangen und ließ sie sogleich gefrieren. Seine Haare knisterten. Jegliches Gefühl war aus seinen Füßen verschwunden. Das Leder des Rucksacks knarzte. ›Weiter, weiter, kleiner Sam.‹ Das Auge wurde größer. Der Wind schlug ihn jetzt. Prügelte ihn. ›Hörte er da tatsächlich Musik?‹ Nein, er hörte das Winseln seines Atems in seinen Ohren. Als er nur noch etwa drei Meter vom Eingang entfernt war, schob sich ein Schatten in das Rund des Tunnels. Sam stolperte, der Sturm verwehte seine Spuren sofort. Dort draußen wirbelte alles Weiß in Weiß, pfeilschnelle Schneeflocken trieben seitwärts an ihm vorbei. Die Gestalt stand ganz ruhig, unnatürlich. Er nahm den Rucksack von der Schulter und ließ ihn kraftlos in den Schnee fallen. Ein Donnern erklang dabei, als wäre sein Gewicht jetzt das eines Mondes. Sam sank auf die Knie. Er war zu keinem Schritt mehr fähig und er wusste, die Kälte würde bald jeden Funken Leben in ihm zum Schweigen bringen. Mühsam schaute er zu der Gestalt auf. Graue, zerzauste Wolfsfelle verhüllten sie bis zum Boden. Schwere Schneestiefel lugten darunter hervor. Ein Geruch von Meer traf seine Nase.
    Da streifte die Gestalt die Fellkapuze vom Kopf. Sam entwich ein überraschter Laut, der vom Sturm verschluckt wurde. Silberblaues Haar wurde von einer weiteren Kapuze eingerahmt, die von solch tiefem Blau war, dass sie wie entrückt auf ihn wirkte. Mit hellen Symbolen, die selbst er noch nie gesehen hatte, war ihr Saum bestickt. Das Gesicht, welches nun auf ihn herabblickte, war ebenfalls grau. Glattgeschliffener Fels, der älter war als jede Geschichte. Augen, aus denen das Meer sang, umrandet von den warmen Tönen der Erde. Unter dem einen erstreckte sich ein Delta von feinen Linien in Braun und sanftem Grün. Die Züge zeitlos, weiblich, die Lippen dämmerungsblau, auf denen hunderte Sterne zu funkeln schienen.
    Eine Hand streckte sich aus den Fellen, mit Poren wie Rinde. Ein langes, schimmerndes Band fiel aus den schlanken Fingern, eine kaum erahnte Bewegung ließ es
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