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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne
Autoren: Thomas Jeier
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Hütte und versuchte die Wahrheit zu finden, aber niemand zerstreute seine Zweifel. Bis zu jenem Tag im Mond, wenn die Kirschen reif sind. Es war die Zeit der Büffeljagd, und sie lagerten in einem lang gestreckten Tal, das mit seiner Blumenpracht vor allem den Frauen gefiel.
    Büffelhöckers Tochter spielte mit den anderen Kindern am nahen See. Sie warfen Steine in das Wasser und schauten interessiert zu, wie ein Kreis nach dem anderen aus seiner Mitte entsprang und sich im See ausbreitete. Weidenfrau und Scheues Reh saßen auf einem Felsbrocken und beaufsichtigten die Kinder. Sie freuten sich über den Frieden, der nun schon fünf Winter anhielt, und fragten sich, ob die Shar-ha den Ho-he nach Norden gefolgt und aus ihren Jagdgründen verschwunden waren. Sie hatten nicht einmal versucht, die Pferdeherde der Hügelleute zu stehlen. Lediglich die Ni-mou-sin waren aus dem Süden gekommen und hatten einen Kleinkrieg mit Büffelhöcker und seinen Hundesoldaten begonnen. Die Comanchen, wie sie von den bärtigen Männern im Süden genannt wurden, hatten sich blutige Nasen geholt.
    Am Seeufer ging Sieht-hinter-die-Berge spazieren. Er hatte seinen Wanderstock dabei und beobachtete einen einsamen Kranich, der im Uferschilf watete. Dann schweifte sein Blick wieder zu dem Mädchen, das ausgelassen in dem flachen Wasser tobte. So viel Energie hatte er selten bei einem Kind gesehen. Oder lag es nur daran, dass er selber alt wurde? Sein Körper war schwächer geworden, und er spürte, dass ihn die Geister nur am Leben ließen, weil er das Mädchen in die Geheimnisse seiner Kunst einweihen musste. Wenn das geschehen war, würde er seinem Schutzgeist auf die andere Seite folgen und im ewigen Licht der Sonne müßig sein.
    Ein großer Rabe stieg aus den Weiden am Ufer empor. Er flog krächzend über den See und ließ sich am Rand einer Pfütze nieder. Es hatte während der vergangenen Tage stark geregnet, und das hohe Büffelgras war immer noch feucht. Der schwarze Vogel rief etwas, das nur seine Artgenossen verstanden, und erhob sich in die feuchtwarme Luft. Büffelhöckers Tochter war als einziges Kind auf den Raben aufmerksam geworden und blickte ihm neugierig nach. Sie stand in dem knöcheltiefen Wasser, den Blick zum Himmel erhoben, und ließ sich auch von den aufgeregten Jungen nicht ablenken.
    Sieht-hinter-die-Berge stützte sich auf seinen Wanderstock. Sein Blick hing an dem kleinen Mädchen und folgte dem krächzenden Raben, der über den See nach Osten flog und zwischen einigen Cottonwood-Bäumen verschwand. »Er will uns ein Zeichen geben«, sagte der Schamane leise. Er ging an den beiden Frauen vorbei zum Dorf zurück und verharrte schwer atmend vor dem Häuptlingstipi. Er war viel zu schnell gegangen. Als er wieder Luft bekam, schlug er mit seinem Wanderstock gegen die Zeltklappe. »Ich bin es, mein Häuptling«, sagte er, »Sieht-hinter-die-Berge. Ich habe dir etwas zu sagen.« Bärenkopf bat ihn herein, und er trat in das Tipi und blieb rechts vom Eingang stehen, wie es die Höflichkeit bei den Hügelleuten gebot.
    »Setz dich«, forderte Bärenkopf ihn auf. Er war ein großer und stattlicher Mann mit schulterlangen Haaren, die er zu doppelten Zöpfen gebunden trug. Sein Blick strahlte viel Güte aus. Als Häuptling der Hügelleute hatte er einen Plat z im Rat der Vierzig Anführer, die über die Politik und das Schicksal des Volkes entschieden. Zusammen mit Kleiner Wolf, Weißer Frosch und Wolfsgesicht gehörte er zu den vier Oberhäuptlingen der tsis tsis tas. Sie repräsentierten die zehn Gruppen des Volkes.
    »Ich habe den Raben gesehen«, kam er gleich zur Sache, »er flog über den See nach Osten. Er hat mir das Zeichen gegeben.«
    Bärenkopf verstand ihn ohne weitere Worte. Nach dem Glauben der Cheyenne zeigte der Rabe die Richtung an, in der sich die Büffel befinden mussten. »Das ist gut«, erwiderte er, »wir brauchen Fleisch für die kalte Zeit. Sind es viele Büffel?«
    »Das hat der Rabe nicht gesagt.«
    »Ich werde Späher ausschicken«, entschied der Häuptling. »Die Hundesoldaten sollen nach den Büffeln suchen und dafür sorgen, dass die jungen Krieger keine Tiere abschießen. Wir wollen die Herde nicht erschrecken. Wenn die Sonne zum zweiten Mal aufgeht, soll die große Jagd stattfinden.«
    So geschah es. Im Morgengrauen des zweiten Tages holten die Krieger des Stammes ihre besten Pferde aus der Herde und sammelten sich außerhalb des Dorfes. Unter der Führung von Bärenkopf und Büffelhöcker
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