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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels
Autoren: Victoria Hanley
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nur durch einen Vorhang abgetrennt wurde. Sie würde nun auch nicht mehr von allen Seiten bedient werden, sondern hätte die Aufgaben auszuführen, die ihr zugewiesen wurden.
    Die Reise mit der Sendrata der Helferinnen sollte dem Mädchen helfen, sich auf die Veränderungen einzustellen, aber Clea hatte sich bisher immer nur beschwert: Warum musste sie am Ende des Zugs reiten? Warum bekamen sie und die Sendrata zweitklassige Zimmer in den Gasthöfen, in denen sie übernachteten? Wie konnte man sie auf etwas zu essen warten lassen, wenn sie hungrig war? Der Wein war praktisch Essig …
    Jetzt stand sie neben Nirene am Ende des Zugs und rümpfte die hübsche Nase. »Wie lange müssen wir es noch in dieser Jauchegrube aushalten?«
    »Nur Geduld«, antwortete Nirene missmutig und beobachtete, wie der Meisterpriester die magere Tochter des Steinhauers auf sie zu führte. Bolivar, der Hauptmann der Tempelwache, marschierte dicht hinter ihnen und führte die weiße Stute, auf der das Mädchen geritten war, am Zügel.
    »Nirene, das ist Bryn«, sagte Renchald, als sie herangekommen waren. »Sie wird Helferin im Tempel. Ich gebe sie in deine Obhut.«
    Nirene verbeugte sich: Die Sendrata der Helferinnen verneigt sich vor dem Meisterpriester. Dieser antwortete mit einer kurzen Verbeugung. »Bryn, das ist Nirene. Sie ist die Sendrata der Helferinnen des Orakels.«
    Die Augenbrauen des Mädchens waren stark gebogen und sahen aus wie Vögel im Flug. Ihre Augen hatten eine eigentümliche rotbraune Färbung. Sie schlug sie bei der Verbeugung nieder, wie es sich gehörte, doch ihre Verbeugung selbst war erschreckend ungeschickt. Die Handflächen berührten sich kaum, bevor sie wieder auseinander genommen wurden, während sich ihr Rücken
    krümmte und wieder aufrichtete, doch wenn Renchald über ihre Unwissenheit verärgert war, zeigte er es nicht.
    Höflich fragte er sie: »Ich glaube, wir sind an einem Priesterhaus vorbeigekommen?«
    Bryn nickte und biss sich auf die Lippen.
    »Auf dem Weg aus dem Dorf halten wir dort an, damit du dem Priester, der dich unterrichtet hat, Lebewohl sagen kannst.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging zu seinem Pferd.
    Bryns Blick fiel auf Nirene und glitt dann zu Clea.
    Lord Erringtons Tochter hatte Haare von der Farbe blühenden Löwenzahns. Sie trug eine feine Mütze mit gelben Bändern. Spitze säumte den Kragen und die Manschetten ihres Kleids, seidig schwang ihr Rock. Die weichen Lederschuhe waren ganz offensichtlich speziell für sie angefertigt worden, so gut passten sie sich ihren Füßen an. Man hätte wohl kaum einen krasseren Gegensatz zu der Tochter des Steinhauers finden können, deren braunes, verfilztes Haar ihr lose über den Rücken hing.
    Ihr verschossener Kittel war so knapp, dass es schon fast unanständig war, und ihre verhornten bloßen Füße waren von Kratzern übersät.
    Nirene berührte Cleas Schulter. »Das ist Clea«, sagte sie zu Bryn. »Wie du wird sie im Tempel lernen.«
    Mit einem überraschend warmen Lächeln verbeugte sich Bryn vor Clea.
    Lord Erringtons Tochter zuckte zurück. »Das kann doch nicht sein Ernst sein«, sagte sie angewidert zu Nirene. »Die reist mit uns nach Amarkand?«
    Bryns Lächeln erlosch.
    »Der Meisterpriester hat sie auserwählt«, gab Nirene zur Antwort.
    Cleas Augen glitzerten boshaft. »Aber sie ist so … so schmutzig wie eine Ratte.«
    Unter ihren Schmutzflecken fingen Bryns Wangen an zu glühen.
    »Im Tempel werdet ihr wie Schwestern sein«, versprach Nirene, ohne selbst daran zu glauben. »Jetzt steigt auf, es geht los.«
    Clea stieg elegant auf, indem sie den Fuß leicht in den Steigbügel stellte und dann mit einem Schwung im Seitensitz im Sattel landete. Bryn packte die Stute im Nacken, zog sich hoch und setzte sich wie ein ungeschulter Junge auf das Pferd, wobei ihr der Saum ihres Kittels bis über die Knie rutschte. Als sie oben war, schwang sie beide Beine ungeschickt auf eine Seite des Sattels.
    Clea lachte gehässig. »Ich habe mich falsch ausgedrückt«, sagte sie. »Welche Ratte kann schon mit solcher Anmut reiten wie die da?« Sie lenkte ihr Pferd neben Nirene, während Bryn auf der anderen Seite ritt, und so folgten sie dem Zug des Tempels.
    Bryn wandte sich an Nirene. »Bist du eine Priesterin?«
    Nirene kniff den Mund zusammen.
    Clea stöhnte übertrieben laut. »Siehst du denn nicht, dass sie kein Priestergewand trägt? Sie mag zwar die Sendrata der Helferinnen sein, aber sie ist trotzdem selbst noch
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