Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Autoren: Linus Reichlin
Vom Netzwerk:
die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen, und sein Diener Lampe hatte ein Buchenholzscheit in den Kamin gelegt und danach die Bettflasche mit heißem Wasser gefüllt. Kant hatte aus der Streubüchse Schreibsand auf die noch glänzende Tinte gestreut und sich zu Tisch begeben, auf dem Speisen dampften. Das Denken gedieh an knisternden Kaminfeuern bei rubinrotem Wein in Kristallgläsern. Die Empfindung dagegen war anspruchsloser, auf Steinen knien, eine Handvoll Reis essen, so billig war sie zu haben. Die Empfindung hieß jeden willkommen, der nach nichts anderem mehr suchte. Das war die einzige Bedingung: nach nichts anderem mehr zu suchen. A-B-C-D-E=mc ² – das war das Ende der Empfindung, und wenn man nur die geringste Unreinheit zuließ, endete es bei A-B-C-Der Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit-E=mc ² -Frauenwahlrecht. An diesem Tag, in diesem Moment, mit vor Müdigkeit entleertem Kopf, das Denken als mühevoll und fruchtlos empfindend, verstand Martens, warum Omar und die mit ihm betenden Männer an der Reinheit des A-B-C-D festhielten: Etwas anderes als Empfindung machte für sie keinen Sinn.
    Netz
    Nach dem Gebet lief Omar mit erhobenem Handy herum, er verkündete den Männern, dass es hier Netz gab, so als habe er es für sie eigens eingerichtet. Die Männer holten sofort ihre Handys hervor und riefen ihre Väter und Brüder an.
    Mohammed?
    Babrak?
    Mirwais rief seinen Namen ins Handy, Mirwais, ich bin’s! Ja, ich, Mirwais, dein Erstgeborener!
    Ehsanullah saß in seine Decken gehüllt auf der Ladefläche des Pick-ups, er hatte kein Handy, und Pason rief niemanden an, obwohl sie eines hatte.
    Omar lief beim Telefonieren auf und ab, er hatte jetzt einen anderen Blick, einen zivileren. Er sprach mit jemandem daheim, ja, ja, mir geht es gut, und dir, er wirkte beim Telefonieren jünger. Er blieb stehen, blickte zu Boden, nickte, hörte so aufmerksam zu, dass er alles um sich herum vergaß, und dann hellte ein Lächeln sein Gesicht auf, gute Nachrichten, alle waren gesund.
    Dilawar saß an eine Hausmauer gelehnt, mit schmalem Gesicht, er tippte auf seinem Handy herum, hustete, tippte weiter. Seit Tagen konnte er nichts mehr tun, ohne vom Husten unterbrochen zu werden. Wenn er rauchte, hustete er den Rauch aus, wenn er aß, spritzten ihm Speiseteile aus dem Mund, wenn er redete, zerhackte der Husten ihm die Sätze. Selbst im Sitzen atmete er mit offenem Mund, um genügend Luft zu bekommen. Manchmal schwitzte er stark, auch in den kühlen Abendstunden. Dilawar rief etwas in sein Handy und stand dann auf, er hielt das Handy Martens hin.
    Martens hörte Miriams Stimme. Einer der Esel brüllte in die Abenddämmerung, Martens verstand nicht, was Miriam sagte, er drückte sich ein Ohr zu. Es war eine schlechte Verbindung, aber dass es überhaupt eine gab, kam ihm unwirklich vor. Der Wind trieb eine Staubschwade durchs Dorf, alle kniffen die Augen zusammen und drehten dem Staub den Rücken zu. Ehsanullah stieg vom Pick-up, stapfte mit der Decke über den Schultern zu einem Baum, und dann sah man seinen Strahl. Martens konnte mit Miriams Stimme nichts verbinden, er wartete auf eine Empfindung, auf irgendein Gefühl. Zum ersten Mal seit drei Monaten hörte er ihre Stimme wieder, aber die Zeit verband nicht, sie trennte. Miriam sagte, sie könne ihn sehr schlecht verstehen, aber er hatte noch gar nichts gesagt. Nun sagte er etwas, er fragte, wie es ihr gehe. Sie sagte, jetzt könne sie ihn hören, ihr gehe es gut. Sie korrigierte sich: so gut, wie es ihr eben gehen könne unter diesen Umständen. Ihm fiel nichts ein, er schwieg und sie auch. Dann sagte sie seinen Namen, um seine und ihre Erinnerungen zu verknüpfen, die Nennung seines Namens sollte die Brücke sein. Sie dankte ihm, sagte, sie werde ihm nie vergessen, was er für sie und Evren getan habe, das müsse er ihr glauben. Er sagte, ihm gehe es auch gut, und beschämte sie damit. Sie entschuldigte sich, fragte, ob er gut behandelt werde, ob er gesund sei. Und wieder nannte sie seinen Namen. Sie sagte, sie komme in drei Wochen, mit dem Geld, sie nannte die Zahl, zweihunderttausend. Sie richtete ihm Grüße aus von seiner Mutter, von seinem Bruder Jonas, der wirklich alles getan habe, um das Geld so schnell wie möglich aufzutreiben. Martens hörte dieser fernen Stimme die Lüge an. Jonas war ein buchhalterischer Mensch, wenn es um Geld ging, konnte er sehr pedantisch werden. Und nun tauchte da diese Frau bei ihm auf, die er nicht kannte und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher