Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Autoren: Linus Reichlin
Vom Netzwerk:
Gefahren verkannte, die der Kontakt mit dem Ungewöhnlichen, dem Schrecklichen mit sich brachte. Das Schreckliche veränderte den Maßstab für die Bedeutung der Dinge. Alles, was weniger schrecklich war, wurde auch als weniger bedeutend empfunden, manchmal selbst die Liebe und das Vertrauen. Das Schreckliche nahm für sich in Anspruch, das einzig Bedeutsame zu sein, alles andere wurde als im Vergleich dazu banal herabgestuft. Wenn man dem nachgab, war man verloren, es war der erste Schritt in die Obsession, in die arrogante Geringschätzung des Alltagslebens und der Arbeit der anderen.
    Fluglärm war wichtig.
    Martens lachte. Er stellte sich vor, wie er einen Artikel mit Fluglärm ist wichtig betitelte, um die Leser mit den Nöten eines Kriegsberichterstatters vertraut zu machen.
    Zigaretten brauchte er noch. Er hielt auf dem Fahrradstreifen, stellte den Warnblinker an und kaufte in einem Kiosk eine Schachtel.
    Auf der Weiterfahrt rauchte er, verlor Asche auf sein weißes Hemd und versuchte sie wegzupusten. Er übersah einen Radfahrer und musste scharf bremsen.
    Schon mal was von rechts vor links gehört!, rief der Radfahrer, sein Gesicht war entstellt vor Empörung.
    Rechts vor links ist wichtig, dachte Martens und fuhr weiter.
    Rechts vor links.
    Sättigungsbeilage.
    Altersvorsorge.
    Die gewöhnlichen Dinge, Gott segne sie.
    In den Geschäften, an denen er vorbeifuhr, kauften die Leute ein, sie saßen draußen vor den Kneipen und tranken in der Abendsonne Bier, sie warfen Münzen in den Parkautomaten. Sie zeigten an Gemüseständen auf das Gemüse, das sie haben wollten, und der Händler wog es ab und packte es ein. Sie blieben vor einem Schaufenster stehen und gingen zum nächsten, und sie sahen alle gesund aus, sie waren unversehrt. Es fehlte niemandem ein Ohr, ein Arm oder ein Fuß. An einer Ampel hielt Martens, und ein Mann führte einen Hund über den Fußgängerstreifen.
    Martens gab sich aufrichtig Mühe: Er versuchte, das alles ernst zu nehmen.
    Er kam zehn Minuten zu früh in der Zossener Straße an. Er rauchte noch eine Zigarette und klingelte dann bei Khalili, der Name war auf einem mit einem Klebstreifen befestigten Zettel in Handschrift geschrieben. Sie wohnte im fünften Stock, und als er außer Atem oben ankam und sie die Tür öffnete, fiel ihm ein, dass er kein Gastgeschenk bei sich hatte.
    Betrachten Sie mich bitte als Blumenstrauß, auch wenn’s schwerfällt, sagte er, ich habe leider vergessen, Ihnen etwas mitzubringen.
    Sie lachte und sagte, und ich habe vergessen zu kochen. Aber es ist Wein da und Tiefkühlpizza.
    Sie hat sich umgezogen, dachte er. Im Bürgeramt hatte sie Jeans getragen, jetzt einen schwarzen Rock mit Saum über dem Knie und ein weißes T-Shirt. Sie war barfuß, er fragte, ob er die Schuhe anbehalten dürfe.
    Sie bat ihn in die Wohnung, die eng und dunkel war wie seine und in der es nach dem Essen der anderen roch. Im schmalen Wohnzimmer mit Ausblick auf die S-Bahn-Brücke standen Möbel, die ihn überraschten.
    Das ist nicht von Ikea, sagte er, und sie sagte, nein, die sind alle handgemacht. Mein ehemaliger Mann ist Gärtner, aber das Schreinern ist sein Hobby, er hat das alles selbst gemacht.
    Das Sofa ist sehr schön, sagte Martens, und der Tisch.
    Er strich über die Oberfläche des Tisches, in die mit großer Sorgfalt Intarsien eingelassen worden waren. Die Kanten des Tisches waren nicht begradigt worden, sie folgten dem natürlichen Verlauf der Holzmaserung. Es war eine sehr schöne Arbeit, nicht perfekt zwar, man sah dem Tisch durchaus an, dass hier jemand mit mehr Liebe als Können gearbeitet hatte, aber am Schluss war es eben die Liebe, die überzeugte.
    Aus der Küche, die durch einen engen, kurzen Korridor mit dem Wohnzimmer verbunden war, wehte ihm ein Geruch in die Nase.
    Sie haben ja doch gekocht, sagte er, es riecht nach Carbonara.
    Die Erschütterungen der S-Bahn, die draußen vorbeifuhr, brachten die Gläser zum Klirren, die auf einer Kommode standen. An einer Wand stapelten sich Umzugskartons. Eine Tür stand halb offen, Martens sah die Ecke eines Betts, das den Raum ausfüllte, man konnte die Tür wahrscheinlich gar nicht ganz öffnen.
    In der Küche war an einem kleinen Tisch für zwei Personen gedeckt. Auf dem Tisch stand eine Kerze. Martens zögerte, sie anzuzünden. Miriam goss das Wasser aus dem Spaghettitopf ab, der Dampf vernebelte die Küche, Martens wurde es in seinem Sakko warm, aber es auszuziehen kam vorerst nicht in Frage. Er drehte das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher