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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Autoren: Linus Reichlin
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schwierig, die Zeitungen haben kein Geld. Na ja, so ist das eben. Andere werden beschossen, dachte er.
    Die Frau schwieg, und der Kleine schaute alles an Martens an, die Stirn, die Augenbrauen, die Nase, den Mund, und dann begann er wieder bei der Stirn.
    Die Einladung
    Martens wartete weiter, nun für die Frau, die sich ihm nicht vorgestellt hatte, er sich ihr auch nicht. Er dachte, dass es eine dieser Begegnungen im Leben war, in denen etwas aufblitzte und erlosch wie der Funken eines Feuersteins, bevor ein Feuer entstehen konnte. Er stellte sich vor, wie die Frau, nachdem sie ihre Bürgeramtsgeschäfte erledigt hatte, in der Stadt verschwand, die groß war. Berlin konnte Menschen unauffindbar machen, die Chance, dass er der Frau zufällig wiederbegegnete, lag nahe bei null. Aber dann stürmte der Kleine in den Warteraum. Er rannte zu Martens, blieb mit einem Ruck vor ihm stehen, so als zügle er ein Pferd, drehte sich gleich auf der Ferse wieder um und rief im Wegrennen, Mama, er ist noch da!
    Die Frau kam zurück.
    Ich wollte Ihnen noch mal danken, sagte sie, und Sie fragen, ob Sie Lust hätten, mit uns zu Abend zu essen? Es gibt Spaghetti Carbonara, ich mache sie ohne Sahne.
    Dann sind Sie Italienerin, sagte Martens.
    Nein, so einfach ist das nicht.
    Sie lachte, und ihr Gesicht öffnete sich dabei, und er blickte in Herzlichkeit und Wärme. Er war ganz gerührt und nahm die Einladung an.
    Das freut mich, sagte sie, dann also um acht an der Zossener Straße. Ich heiße Miriam. Miriam Khalili.
    Moritz Martens, sagte er.
    Sie gaben sich die Hand, und mit einem Bis dann also ging sie, und kurz vor der Tür drehte sie sich noch einmal nach ihm um.
    Sie hat sich umgedreht!, dachte er.
    Noch zwei Stunden musste er warten, bis ihm endlich ein Sachbearbeiter durch einen Stempel aufs Meldeblatt bestätigte, dass er in eine billige, dunkle Wohnung hatte umziehen müssen, weil er kein normales Verhältnis zum Leben fand, darum ging es doch. Er hatte zu hohe Erwartungen an das Leben. Für mich, hatte die Knef gesungen, soll’s rote Rosen regnen, mir sollten sämtliche Wunder begegnen, die Welt sollte sich umgestalten und ihre Sorgen für sich behalten – sie hatte dieses Lied für ihn gesungen. Aber jetzt zeigte ihm das Leben, dass es gewöhnlich war und jeden bestrafte, der das nicht akzeptierte. Das Leben war so gewöhnlich wie ein Bankkonto, das man nicht überzog, ein Einfamilienhäuschen, das man abbezahlte, so gewöhnlich wie ein unpünktlicher ICE und der defekte Kaffeeautomat im Büro. Die Gewöhnlichkeit war das Prinzip, es hatte sogar in Ruanda gewirkt, in jener nach Urin stinkenden engen Straßenbar, in der er drei junge Hutu-Burschen interviewt hatte. Sie schilderten ihm mit unbewegten Stimmen, wie sie morgens aufstanden, die Macheten und Beile wetzten und dann die Gegend nach Tutsi durchsuchten, die sich in Erdlöchern oder Kellern versteckten. Wenn sie sie fanden, brachten sie ihnen je nach Tagesform Verletzungen bei, an denen die Opfer später erst starben, oder sie töteten sie gleich, was aber anstrengender war. Wenn du einen tötest, sagte einer der Burschen, musst du drei- oder viermal zuschlagen, aber verwunden kannst du ihn mit einem einzigen Hieb, und er stirbt dann von selbst. Die anderen pflichteten ihm bei, es war einfach zu mühsam, sie totzumachen. In den Morgenstunden, wenn es noch nicht so heiß war, ging es ja noch, aber am Nachmittag wurde nur noch verwundet. Abends fielen die drei Hutu-Burschen müde auf ihre Matten, und am nächsten Morgen ging es von vorne los, und Martens sah in ihren Gesichtern keinen Hass, keine Freude am Töten, keine Begeisterung, sondern nur die Anstrengungen des Alltags.
    Diese Kerle, dachte Martens, während der Sachbearbeiter den Stempel des Meldeamts auf seinen Schein drückte, sind jetzt wahrscheinlich alle verheiratet, haben Kinder und ernähren ihre Familien von den Uhren, dem Zahngold und dem Schmuck, den sie den Tutsi abgenommen haben. Sie haben alles in irgendeinem Topf versteckt oder es zu Geld gemacht und das Geld unter der Schlafmatte versteckt, und dann haben sie gespart, sie haben es nicht verprasst, sie sind gewöhnlich und sie wussten, dass das die beste Zeit ihres Lebens war, die Zeit, in der sie ein kleines Vermögen anhäufen konnten. Aber du, dachte er, du hast gar nichts angehäuft. Er hatte den Haufen Geld, den er mit seinen Reportagen verdiente, immer gleich abgetragen, und es war ein breiter Geldfluss gewesen, in den guten Zeiten hatte sogar
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