Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Autoren: Linus Reichlin
Vom Netzwerk:
gewöhnliche Leben und seinen Entschluss, es zu führen, gesagt hatte.
    Ach Miriam, sagte er, schauen Sie mich nicht so böse an. Habe ich irgendetwas gesagt, das Sie ärgert?
    Wer sonntags nicht gerne mit seiner Frau und den Kindern spazieren geht, sagte sie, versteht von drei Dingen nichts: vom Spazierengehen, von Frauen und von Kindern. Sie sagten vorhin, Sie müssten lernen, ein gewöhnliches Leben zu führen. Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber das ist ziemlich arrogant. Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen. Aber seien Sie leise.
    Sie stand auf und öffnete vorsichtig die Tür zum Schlafzimmer. Martens erhob sich unwillig. Sie hatte ja recht, es war arrogant, aber nur wenn man nicht verstand, worum es ihm ging. Er fand sie ihrerseits zu voreilig in ihrem Urteil über ihn.
    Schauen Sie, flüsterte sie und zeigte auf den Kleinen, der bäuchlings auf dem Bett lag, in einer Haltung, in der nur Kinder schlafen konnten. Das Pyjama war hochgerutscht, der halbe Rücken lag bloß.
    Das ist mein gewöhnliches Leben, sagte sie leise. Jeden Morgen wecke ich ihn, und dann kraule ich eine Weile seinen Rücken und er liegt noch da und gewöhnt sich allmählich an den Tag. Dann zieht er sich an, das kann er schon allein, und wenn er das T-Shirt verkehrt rum anzieht, frage ich: Trägt der Igel die Stacheln am Bauch? Er zieht das T-Shirt manchmal extra verkehrt rum an, nur damit ich das sage.
    Sie schloss die Tür wieder und ging zum Fenster. Mit verschränkten Armen schaute sie hinaus, sie sagte, wenn er angezogen ist, mache ich Frühstück, meistens Rührei, das mag er am liebsten, und mit viel Schnittlauch. Wir essen, und dann bringe ich ihn in den Kindergarten. Am Nachmittag hole ich ihn ab, und wenn wir zu Hause sind, spielen wir Memory oder ich lese ihm etwas vor. Dann kommt seine Sendung im Fernsehen, und ich koche, und um neun machen wir Katzenwäsche. Ich bringe ihn ins Bett, kraule seinen Rücken, und manchmal singe ich ein Gutenachtlied.
    Sie drehte sich zu Martens um. Am nächsten Tag beginnt alles von vorn, sagte sie. Und ich würde alles tun, damit das so bleibt. Ich würde notfalls lügen und betrügen, damit dieses gewöhnliche Leben, wie Sie es nennen, so bleibt wie es ist.
    Hartmanns
    Es war eine schöne Nacht mit belebten Straßen, die Leute saßen draußen, spazierten mit Bierflaschen auf den Gehsteigen, und der Mond stand kugelrund über den Dächern, die in seinem geliehenen Licht schimmerten. Martens fuhr langsam durch die Straßen, ein fahrender Flaneur, und an einer Abzweigung änderte er die Richtung. Er hatte keine Lust auf seine Wohnung, er wollte unter Leuten sein und eine der Köstlichkeiten aus der Küche des Hartmanns essen. Miriams Spaghetti hatten nur seinen Magen befriedigt, nicht aber seinen Gaumen, und die ungarische Salami in Ehren, aber er brauchte jetzt noch etwas wirklich Köstliches.
    Im Hartmanns begrüßte ihn der Kellner mit Namen und brachte ihn an seinen Lieblingstisch neben dem Kamin. Martens bestellte glaciertes Kalbsbries und Nierchen und ließ sich vom Kellner zu einem Riesling Vom Grauen Schiefer raten. Einen Roten schlug der Kellner gar nicht erst vor, obwohl er zum Nierchen besser gepasst hätte, er kannte Martens’ Vorliebe für Weißwein. Es war außer Martens nur noch eine kleine, durch den Wein aufgeheiterte Gesellschaft da, ein Geschäftsessen, vermutete er, die Herren hatten die Krawatten gelockert, und eine der Damen streifte unter dem Tisch ihre glänzenden schwarzen Pumps ab und rieb ihre Füße aneinander.
    Martens aß das Amuse Bouche, ein Stück Kalbsbäckchen, ausgebacken in hauchdünnem, knusprigem Teig, und er behielt den seine Aromen verströmenden Bissen im Mund, um ihn mit einem Schluck Wein zu veredeln, und dazu der Anblick der eleganten, kleinen Füße der Frau in der Nachbarschaft der schwarzen Schuhe – es war ein Genuss. Die Frau, wohl weil sie seine Aufmerksamkeit gespürt hatte, drehte sich zu ihm um, er erwiderte ihr flüchtiges Lächeln.
    Es gefiel ihm sehr, hier zu sitzen und zu viel Geld auszugeben. Der Wein, das Kalbsbries, er rechnete mit fünfzig Euro, und so viel hatte er ja noch in der Tasche. Der Wein kostete pro Glas acht Euro, er bestellte gleich noch eins. Vor ein paar Wochen hatte er sich einmal hingesetzt und ein Budget erstellt. Wie viel ist noch da, wie viel darf man ausgeben. Aber ein Budget nahm einem die Entscheidung nicht ab, ob man mit dem vorhandenen Geld lieber eine Woche lang jeden Tag zwei Teller Spaghetti essen oder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher