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Das letzte Relikt

Das letzte Relikt

Titel: Das letzte Relikt
Autoren: Robert Masello
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den Hals. Eine Weile standen sie nur da und wiegten sich behutsam hin und her, ohne ein Wort zu sagen. Er hob eine Hand, um ihr übers Haar zu streichen, doch als er Beths Zittern spürte, legte er sie stattdessen auf den Rücken und versuchte, sie warmzurubbeln. Durch die offene Rückseite drang kalte Nachtluft auf den Heuboden.
    Wie lange sie auf diese Weise dastanden, hätte er nicht sagen können. Er hatte die Augen geschlossen und wollte sie am liebsten nie wieder öffnen. Er wollte einfach nur Beth festhalten und glauben, dass die Gefahr vorüber sei. Er wollte sich vorstellen, sie seien in Sicherheit und Abbie im Haus am Leben und unverletzt. Doch das Gefühl wurde immer drängender, dass er die Augen wieder öffnen musste, und zwar auf der Stelle. Sie waren nicht mehr allein in der Scheune.
    Er schlug die Augen auf. Es war immer noch dunkel. Er machte
Shhh
zu Beth und bedeutete ihr, sich auf den Boden zu kauern. Dann drehte er sich um und schaute zu den Holztüren. Der Querbalken war immer noch an seinem Platz und die Türen geschlossen. Nirgends in der Scheune entdeckte er ein Zeichen von Arius, aber das Gefühl wollte nicht verschwinden, und sein Nacken hörte nicht auf zu kribbeln.
    »Ihr werdet geboren«, sagte die Stimme, »und schreit.«
    Carter wirbelte herum. Im tiefsten Schatten unter einem Vorsprung hockte Arius auf einem uralten Heuballen. Sein nackter Körper strahlte im Moment kein Licht ab. Rein und weiß saß er vollkommen reglos da.
    »Ihr lebt in Angst.« Seine Stimme war grabesdunkel und seltsam schwermütig.
    Langsam schob Carter sich zwischen Beth und den Engel.
    »Und ihr sterbt voller Furcht.«
    Beth kauerte sich an der Wand unter den Werkzeugen zusammen.
    »Aber so müsste es nicht sein.« In der Finsternis unter den Dachsparren war der Engel kaum zu erkennen. »Hätte es nie sein müssen.«
    So sehr es Carter auch widerstrebte, den Blick von der reglosen Gestalt abzuwenden, er musste sich nach irgendeiner Art Waffe umschauen. Nach irgendeiner Möglichkeit, zu entkommen. Aber was für ein Entkommen konnte das schon sein? Die Leiter würden sie niemals erreichen, und ein Sprung vom Heuboden aus auf den harten Boden draußen könnte sie glatt umbringen.
    »Wir waren eure Freunde«, psalmodierte der Engel, »und wir könnten es wieder werden.«
    »Nein, das könnt ihr nicht«, sagte Beth, und als Carter sich umdrehte, sah er, dass sie die alte Heugabel von der Wand genommen hatte und sie gegen ihren eigenen Bauch hielt. »Ich weiß, was du willst, und ich werde mich eher selbst töten, als dass ich das zulasse.«
    »Beth!«, schrie Carter, entsetzt von ihrem wilden Gesichtsausdruck. »Leg das Ding weg!« Er griff nach der Gabel, aber Beth schwang plötzlich herum, um ihn abzuwehren und traf dabei aus Versehen seine Hand. »Nein, Carter. Ich meine es ernst!«
    Während Carter seine verletzte Hand umklammerte, erfasste ihn eine plötzliche Brise, frisch und nach Wald riechend. Ein schwaches goldenes Licht erfüllte den Heuboden. Klappernd schlug die Heugabel auf dem Holzboden auf.
    Arius leuchtete und zerrte Beth an einem Arm mit sich.
    Wie ist er dorthin gekommen?
    Er hielt auf die Rückseite des Bodens zu. Carter traute seinen Augen und seinem Verstand kaum, als er sah, wie sich zwischen Arius’ Schulterblättern ein Paar Flügel entfaltete.
    Doch es waren nicht die glatten und gefiederten Flügel eines Vogels. Was sich da hoch über dem Kopf des Engels berührte, waren ledrige fledermausartige Schwingen, die Carter unwillkürlich an einen Pterodactylus denken ließ.
    »Nein!«, schrie Beth und befreite sich windend aus seinem Griff. Der Engel drehte sich zu ihr um, aber es war zu spät. An der Kante des Heubodens schwankte sie kurz, ehe sie schreiend auf den Boden darunter stürzte.
    »Beth!«, rief Carter, und ehe der Engel reagieren konnte, hatte er die Heugabel aufgehoben und sie ihm in den Rücken gerammt. Eine der rostigen Zinken durchbohrte den Engel an der Seite.
    Aber das war es auch schon. Im nächsten Moment klappten die großen Schwingen nach vorn, und Carter fühlte sich in Arius’ Umarmung gefangen, wie ein hilfloses Tier in den Windungen einer Boa constrictor.
    Je mehr er zappelte und sich wand, desto enger schlossen sich die Schwingen um ihn. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst, und sobald er versuchte, Atem zu holen, drückte der Engel noch kräftiger zu und verhinderte es.
    Er dachte an Beth und ihren Sturz …
    Seine Lungen brannten und sein Herz verausgabte
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