Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
auch egal, Brede drehte jedenfalls vollständig durch. Am Rand des Bildes ist nämlich ein Messergriff zu erkennen. Und zwar der vom falschen Messer. Kaum zu sehen, aber Brede hat einen Höllenlärm gemacht und gedroht, das ganze Projekt platzen zu lassen, wenn wir auf das Bild nicht verzichten würden. Ich war ziemlich ungeduldig, um es schonend auszudrücken. Ich meine, ab und zu ist der Umgang mit Autoren wirklich anstrengend … auf jeden Fall: Er hielt mir einen langen Vortrag über Küchengeräte.
B. T.:
Aber das war einige Tage vorher, haben Sie gesagt. Was ist am Sonntag abend passiert?
I. F.:
Er hat das Paket hervorgezogen. Es geöffnet und dazu so was gesagt wie, daß Künstler immer das beste Werkzeug brauchen, wenn Kunst zu Geist werden soll. Es war einfach unerträgliches Gefasel, und dabei ging es doch nur um ein Messer! Er hat es sogar damit verglichen, daß ein erstklassiger Geiger eine Stradivari braucht, um seine Ziele erreichen zu können. Das schlimmste war ja, daß ich das alles schon häufiger gehört hatte. Aber ich habe den Mund gehalten. Ich wollte die Sache hinter mich bringen, damit ich bald nach Hause konnte. Er hat immer weitergefaselt, während er das Papier abwickelte. Darunter kam eine goldene Schachtel mit großen japanischen Schriftzeichen zum Vorschein. Als er den Deckel abgenommen hatte, hielt er mir die Schachtel hin. Ich sollte das Messer herausnehmen. Es anfassen. Spüren, wie leicht es ist. Und das habe ich getan.
H. W.:
Sie hielten also das Messer in der Hand. Hatten Sie Handschuhe an?
I. F.:
Ja. Ich wollte doch so schnell wie möglich weiter. Dieses Messer hat mich überhaupt nicht interessiert. Aber Brede hatte seinen einen Handschuh ausgezogen, sicher, um die Schleife aufzubinden. Der Handschuh war ihm auf den Boden gefallen, genauer gesagt, auf die Treppe. Ich wollte mich schon danach bücken, aber dann habe ich das Messer genommen, als er es mir hinhielt.
ANWÄLTIN:
Überleg dir genau, was du jetzt sagst, Idun. Das ist wichtig …
B. T.:
Bitte, Verteidigerin, nicht die Aussage unterbrechen. Sie können …
I. F.:
(Redet laut dazwischen) Das ist nicht nötig. Ich werde sagen, was passiert ist. Ich habe ihn erstochen. Okay? Ist das klar? Ich habe ihn erstochen. Himmel, ohne dieses verdammte Messer hätte ich mich mit einer Ohrfeige begnügt! Ich … wir standen auf der Treppe, ich stach zu, er gurgelte kurz und sackte in sich zusammen. Es ging unglaublich schnell. Ich muß ein lebenswichtiges Organ getroffen haben. Aus irgendeinem Grund habe ich den Messergriff mit einem Taschentuch abgewischt. Idiotisch, ich hatte schließlich Handschuhe an, und ich … Das Seltsame war, daß so wenig Blut kam. Zu Hause habe ich auf meinen Handschuhen Blutflecken entdeckt, aber nur dort. Diese Handschuhe habe ich weggeworfen. Zusammen mit der Schachtel, die ich aus irgendeinem Grund mitgenommen hatte. Als er zusammenbrach … ich habe ihn geschüttelt. Aber es war zu spät. Er war tot. Er war fast sofort tot. (Pause, Räuspern, Weinen?) Da habe ich wohl den Schal verloren. Als ich ihn geschüttelt habe. Ich habe es nicht gemerkt.
B. T.:
Aber ich begreife das nicht so ganz … Sie sagen, daß Sie sich mit Brede Ziegler unterhalten haben. Sie waren genervt von ihm. Er wollte Ihnen etwas schenken. Sie nehmen das Messer in die Hand und erstechen ihn. Aber warum? Warum haben Sie das getan? Weil Sie keine Lust hatten, sich von dem Mann eine Moschee zeigen zu lassen?
I. F.:
Ich kann das nicht erklären. Es hat sich einfach so ergeben.
B. T.:
Sie waren doch sicher schon häufiger in Ihrem Leben mit Menschen zusammen, die Sie nicht gerade lieben, und trotzdem haben Sie sie nicht gleich erstochen. Sie haben bisher ja noch nicht einmal ein Bußgeld wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zahlen müssen.
I. F.:
Nein, aber mir sind in meinem Leben auch nicht viele Menschen begegnet, die ich so verabscheut hätte wie Brede Ziegler. Sie haben doch mit Thale gesprochen. Sie wissen, was er unserer Familie angetan hat.
B. T.:
Sicher. Und wir verstehen, daß Sie wütend auf ihn waren. Aber Sie haben ihn über zwanzig Jahre in Ruhe gelassen – warum haben Sie ihn gerade jetzt umgebracht?
I. F.:
(Sehr laut) Es hat sich so ergeben, wie gesagt. Er stand da, vor mir … er hatte mir ein Messer gegeben, er schien mich geradezu dazu aufzufordern … (weint).
ANWÄLTIN:
Ich schlage vor, daß wir eine Pause einlegen. Meine Mandantin ist restlos erschöpft. Sie muß ein wenig zur Ruhe
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