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Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt , Berit Reiss-Andersen
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Nachmittags war der eine oder andere Kanacke mit Frau und einer Unmenge von Kindern da, wobei die Kinder Fußball spielten und verängstigt kicherten, wenn Harrymarry auf sie zukam. Die Säufer hier waren von der redlichen Sorte. Die Bullerei störte auch nicht weiter, die hatte längst aufgehört, eine ehrliche Hure zu schikanieren.
    In dieser Nacht war der Park leer. Harrymarry schlurfte aus dem Lichtkegel des Scheinwerfers, der über dem Eingang zum alten Gefängnis hing. Den ehrlich verdienten Schuß für die Nacht hatte sie in der Tasche. Sie brauchte nur noch einen Ort, wo sie ihn setzen konnte. Auf der Nordseite der Wache lag ihre Treppe. Die war nicht beleuchtet und wurde nie benutzt.
    »Verdammt. Scheiße.«
    Jemand hatte sich auf ihrer Treppe breitgemacht.
    Hier hatte sie warten wollen, bis das Heroin ihren Körper ins Gleichgewicht brachte. Die Treppe auf der Rückseite der Wache, einen Katzensprung von der Gefängnismauer entfernt, war ihre Treppe. Und jetzt hatte sich da jemand breitgemacht.
    »He! Du!«
    Der Mann schien sie nicht gehört zu haben. Sie stolperte näher. Ihre hohen Absätze bohrten sich in verfaultes Laub und Hundekacke. Der Mann schlief wie ein Stein.
    Vielleicht sah er ja gut aus. Das konnte sie nicht sagen, selbst dann nicht, als sie sich über ihn beugte. Es war zu dunkel. Aus seiner Brust ragte ein riesiges Messer.
    Harrymarry war ein praktisch veranlagter Mensch. Sie stieg über den Mann hinweg, setzte sich auf die oberste Treppenstufe und fischte ihre Spritze aus der Tasche. Das gute warme Gefühl der Notwendigkeit stellte sich ein, noch ehe sie die Nadel herausgezogen hatte.
    Der Mann war tot. Ermordet vermutlich. Er war nicht das erste Mordopfer, das Harrymarry sah, aber das am edelsten bekleidete. Sicher ein Überfall. Raubüberfall. Oder vielleicht war dieser Mann ein Schwuler, der sich bei den Jungen, die sich für fünfmal soviel verkauften, wie eine Runde Lutschen bei Harrymarry kostete, zu große Freiheiten herausgenommen hatte.
    Sie erhob sich mühsam, schwankte leicht. Einen Moment lang blieb sie stehen und musterte die Leiche. Der Mann trug einen Handschuh. Der Handschuhzwilling lag daneben. Ohne nennenswertes Zögern bückte Harrymarry sich und griff nach den Handschuhen. Sie waren ihr zu groß, aber aus echtem Leder und mit Wolle gefüttert. Der Mann brauchte sie ja nun nicht mehr. Sie zog sie an und machte sich auf den Weg zum letzten Bus, der zum Nachtasyl fuhr.
    Einige Meter von der Leiche entfernt lag ein Schal. Harrymarry hatte an diesem Abend wirklich Glück. Sie wickelte sich den Schal um den Hals. Ob es an den neuen Kleidern lag oder am Heroin, wußte sie nicht. Jedenfalls fror sie nicht mehr so schrecklich. Vielleicht sollte sie sich ein Taxi gönnen. Und vielleicht sollte sie die Polizei anrufen und sagen, daß auf dem Hinterhof der Wache eine Leiche lag.
    Das wichtigste aber war, ein Bett zu finden. Ihr fiel nicht ein, welcher Wochentag war, und sie brauchte Schlaf.

2
    Maria, Mutter Jesu.
    Das Bild über dem Bett erinnerte an alte Glanzbilder. Ein frommes Gesicht, der Blick auf zum Gebet gefaltete Hände gesenkt. Der Heiligenschein war längst zu einer vagen Staubwolke verblaßt.
    Als Hanne Wilhelmsen die Augen öffnete, ging ihr auf, daß die sanften Züge, der schmale Nasenrücken und die dunklen, straff in der Mitte gescheitelten Haare sie all die Zeit irregeführt hatten. Jesus höchstselbst wachte seit fast einem halben Jahr Nacht für Nacht über sie.
    Ein Streifen Morgenlicht traf Mariens Sohn an der Schulter. Hanne setzte sich auf. Sie kniff die Augen zusammen und sah zu, wie die Sonne sich durch den Vorhangspalt kämpfte. Dann griff sie sich ins Kreuz und fragte sich, warum sie quer im Bett lag. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt eine ganze Nacht durchgeschlafen hatte.
    Die kalten Steinfliesen unter ihren Füßen ließen sie aufkeuchen. In der Badezimmertür drehte sie sich um, um das Bild noch einmal zu betrachten. Ihr Blick fegte über den Boden und verharrte.
    Der Badezimmerboden war blau. Das war ihr noch nie aufgefallen. Sie hielt sich den gekrümmten Zeigefinger vor ein Auge und starrte mit dem anderen auf die Fliesen.
    Seit Mittsommer wohnte Hanne Wilhelmsen in dem spartanischen Zimmer in der Villa Monasteria. Jetzt ging es auf Weihnachten zu. Die Tage waren braun gewesen, denn in dem großen Steingebäude und seiner Umgebung fehlte jegliche andere Farbe. Selbst im Sommer hatte es in der Valpolicella-Landschaft vor dem riesigen
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