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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Autoren: Frank Schmitter
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Metallgriff gegen ihre Wirbelsäule stieß. Die Nachbarin holte ihren Schlüssel aus der Küche, Daria senkte den Kopf und legte eine Hand vor ihre Augen, um Veronikas Blick zu entgehen. Sie wartete in dieser Position, bis die Haustür in Schloss fiel.
    Georg kam auf sie zu und nahm sie in den Arm, vorsichtig und ohne Leidenschaft, eine Geste des Trostes. Sie dachte an das Mittagessen für Svenja, ans Rasenmähen, an die Fernsehsendungen, die Svenja heute Nachmittag sehen durfte und welche nicht, die Bastelarbeit für die Schule – sie baute sich aus den Tagespflichten ein Geländer, um jetzt, in dieser Sekunde, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
    „Ich dachte, irgendwas muss ich sagen.“ Georg erhöhte den Druck seiner Umarmung. Daria ließ es zu, erwiderte sie aber nicht. 
    „Du konntest nicht wissen, dass ich vorher das Gegenteil behauptet habe. Zumindest haben wir für Veronika alle Zweifel beseitigt.“
    „Für mich nicht.“ Seine Hände wanderten über ihren Rücken und rutschten langsam tiefer. Sie legte die rechte Hand fest an seinen Hinterkopf, um zu verhindern, dass er sie auf den Mund küssen konnte. Ihren Hals gab sie frei, seinem Mund und seiner feuchten Zungenspitze, und zu ihrem eigenen Erstaunen fühlte sie eine Erregung, die etwas beruhigend Neutrales hatte, ein vertrautes Dreieck aus Haut, Lippen und Feuchtigkeit.
    Sie löste sich von ihm, und er leistete keinen Widerstand.
    „Ich kann das jetzt nicht mehr.“
    Er nickte und schaute auf die Uhr. Dann nahm er sein Jackett vom Kleiderbügel und ging auf die Haustür zu.
    „Ich möchte dich wiedersehen. Bald.“
    Zum Abschied machte er nicht mehr den Versuch, sie auf den Mund zu küssen. Er legte die rechte Hand flach auf ihre Brust, eher eine Geste als eine Berührung.
    Sie lächelte und zog gleichzeitig die Schultern hoch: Ja-Nein-Vielleicht.
     
    Frieder blieb freitags länger im Büro, um den Stau auf der A99 zu umgehen. Der Freitag als Arbeitstag schien seit Jahren in einer Erosion begriffen. Die Autokarawane formierte sich nach dem Mittagessen und riss bis zum Abend nicht mehr ab; die Radiosender schalteten um auf Wochenende, die Pendler verließen München in Richtung Norden, auf der Gegenspur die Wochenendurlauber, Ende April hatte ihre Saison bereits begonnen.
    Lange würde er die Strecke nicht mehr fahren müssen, hoffte Frieder. Er arbeitete bei einem kleinen Marktforschungsinstitut, das sich auf den Medienbereich spezialisiert hatte. Frieder war für das Fernsehen zuständig, erfasste Einschaltquoten, erstellte Tabellen und Analysen zu Änderungen im Zuschauerverhalten, beobachtete neue Programmtrends und Sendeformate. Ein Medienkonzern in einem Nachbarort Gerdings war sein bedeutendster Kunde, und Frieder versuchte seit einiger Zeit, dort einen Fuß in die Tür zu kriegen. Er hatte sich mit dem zuständigen Abteilungsleiter in der Stadt zum Mittagessen getroffen und versucht, gegen den Trend zum Outsourcing zu argumentieren. Immerhin so erfolgreich, dass es zumindest ein zweites Gespräch gab, dieses Mal in der Kantine des Medienkonzerns. Frieder wollte sich die Möglichkeit verschaffen, irgendwann einmal etwas anderes zu machen – was in seiner kleinen Firma de facto unmöglich war. Aber in erster Linie ging es ihm darum, nicht zwei Stunden am Tag ausschließlich mit dem Gaspedal seines Wagens beschäftigt zu sein.
    Als er von der Autobahn abfuhr, fühlte er das Gewicht seines eigenen Körpers. Die Reise des Körpers in sein Bewusstsein, sie fand am Ende einer Arbeitswoche statt, wenn er Gerding vor sich sah. Die Ausfahrt mündete in einen Kreisverkehr, Frieder fuhr nach rechts, hinter dem weißen VW-Passat einer Firma für Fotokopiergeräte. Frieder kannte den Wagen, er stand vor einem der Hochhäuser an der S-Bahn. Zu seiner Linken zog ein Bauer auf seinem Traktor Furchen in ein Feld, Frieder wüsste gerne, was dort gepflanzt wurde. Auch nach einigen Jahren in Gerding waren seine spezifischen Kenntnisse nicht gewachsen. Manchmal blätterte er, im Verborgenen, in Svenjas Schulheften und schaute sich Zeichnungen von Getreide- und Baumsorten an, aber wenn er auch nur Tage später bei einem Spaziergang eine Ähre in der Hand hielt, war er mit seinem Felderlatein wieder am Ende.
    Frieder ließ das Seitenfenster per Knopfdruck herunter, er wollte frische Luft inhalieren, weil er sich so präsent fühlte in seinem Körper und seinem Leben. Im zeitlosen Dreieck aus Arbeit, Familie und Haus. Er war der Mann in der Mitte,
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