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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Autoren: Frank Schmitter
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beiden Tüten. Der Junge riss sie in einer einzigen Bewegung auf und griff nach einem Sandwich. Er war vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt, ziemlich mager, seine Stirn ein Minenfeld aus Aknepickeln, die er mit einer dicken Schicht Puder zu überdecken versuchte. Er trug hohe Lederstiefel, hautenge Jeans mit einem schwarzen Ledergürtel und einer übergroßen, runden Blechschnalle.
    „Frierst du nicht, ohne Pullover?“, fragte Frieder und tippte gegen das blaue Seidenhemd unter der schwarzen Lederjacke.
    „Wo ich bin, muss ich so rumlaufen“, sagte der Junge und klappte das zweite Sandwich auf, um das Salatblatt zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen und wegzuschnippen.
    Frieder schaute hinunter auf die Isar, die an dieser Stelle sehr flach war, in der Mitte zerteilt durch ein längliches Kiesbett. Ein provisorischer Steg aus Steinen, umgedrehten Obstkisten und einer morschen Palette führte zu der Insel. Bald würden die ersten Hartgesottenen dort ihren Grill aufstellen und bis in die Nacht feiern.
    „Wie geht es zu Hause?“, fragte Frieder.
    „Super. Der Alte ist wieder mal abgetaucht.“ Der Junge holte eine Schachtel Zigaretten aus der Lederjacke und ein Feuerzeug, das einen Bodybuilder, nur mit einem roten Slip bekleidet, in Pose zeigte. Er zündete die Zigarette an und drehte sich auf den Bauch. Frieder schaute auf sein braunes, seidig-weiches Haar, das auf den Kragen der Lederjacke fiel und einen stechenden Farbkontrast bildete.
    „Muss das sein?“, sagte Frieder unbeherrscht.“Und dann noch hier in der Natur.“
    „Klappe“, sagte der Junge und grinste breit, aber freundlich. „Wer nicht bezahlt, darf auch nicht bestimmen.“ Er hatte ein fein geschnittenes Gesicht, mit leicht vorspringenden, vollen Lippen. Über der Oberlippe wuchs ein zarter, hellblonder Flaum, der im Sonnenlicht silbern blinkte. Seine Augen waren schmal und saßen tief in den Höhlen. Wenn der Junge sich fixiert fühlte, zuckte sein linkes Augenlid. Ein Tick.
    „Ich muss gleich zur Arbeit“, sagte Frieder und streckte sich auf der Decke aus.
    „Wie viel Zeit haben wir noch?“
    „Wenn du endlich die Zigarette ausmachen würdest, noch zehn Minuten. Höchstens.“
    „Kannst du mich noch ein Stück in die Stadt mitnehmen“, fragte der Junge und zerdrückte die Kippe auf dem Waldboden. In diesem Moment fror er ein wenig. Der Fußweg aus Gerding heraus die Isar entlang hatte ihn aufgewärmt, aber die Sonne stand noch viel zu tief, um sie an dieser Stelle erreichen zu können. Der Junge glaubte, die Kälte und Feuchtigkeit des Waldbodens durch die Decke zu spüren. Aber er wollte nicht den Reißverschluss der Lederjacke hochziehen. Nicht in diesem Moment. Er schaute Frieder direkt in die Augen. Dann fühlte er, wie sein Augenlid zu zucken begann.
     
    Daria ging nach dem zweiten Klingeln die Treppe hinunter. Die dunkelblaue Kunststoffhaustür hatte in der Mitte einen handbreiten Streifen aus Designerglas (sie fand ihn scheußlich, wie der senkrechte Teil eines Christuskreuzes, aber die Tür auszutauschen wäre ihr doch zu versnobt erschienen, zumal sie natürlich neuwertig war), und als sie den Mann vor der Tür erkannte, auf den ersten Blick, erstarrte sie. Bis es zum dritten Mal klingelte. Sie schaute kurz in den Dielenspiegel und öffnete die Tür.
    „Hi“, sagte ihr Nachbar und stand schon in der Diele, die Hände in den Taschen seiner hellbraunen Cordhose. Das dazu passende Jackett hing lose über seiner rechten Schulter.
    Sie wollte etwas sagen; sie wollte ihm sagen, dass sie ihn vergessen hatte, einfach vergessen, bis zu dieser Sekunde, aber es kam ihr idiotisch vor, ihr Vergessen wie auch die Verabredung selbst. Sie fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, ich muss mich irgendwo festhalten, dachte sie, nur nicht an ihm.
    „Überrascht?“, fragte er. Er bewahrte den Abstand zu ihr, schob den rechten Handrücken unter das Jackett und hielt es ihr hin, in Augenhöhe. Eine Geste, die sie wütend machte, gleichzeitig war sie irgendwie dankbar für diese Wut. Sie hängte das Jackett auf einen Metallbügel, während er ins Wohnzimmer ging. Sie kontrollierte im Spiegel, ob der oberste Knopf des Polo-Shirts geschlossen war, und folgte ihm. Er saß auf der Dreiercouch, in der Mitte, die Arme weit ausgebreitet. Wenn sie sich also neben ihn setzte, konnte er sie einfangen, mit einem Flügelschlag.
    „Eure Einrichtung habe ich immer bewundert“, sagte er und ließ seinen Blick durch den Raum wandern, „wie
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