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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Autoren: Frank Schmitter
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dessen bewegliche Anzeige zunächst in der Mitte zwischen „Toll“ am oberen und „Mies“ am unteren Ende lag. Dann orientierte sie sich, offenbar gesteuert von Zuschaueranrufen, eindeutig in die negative Richtung. Die Frau, die dieses Votum sicher nicht sehen konnte, sang und tanzte und ruderte weiter. Daria bekam plötzlich eine Gänsehaut; sie konnte nicht verstehen, dass der Drang der Leute, drei Minuten im Fernsehen gewesen zu sein, die Wahrscheinlichkeit der totalen Bloßstellung überwog.
    Daria schloss die Augen und überlegte, ob sie sich, zum ersten Mal überhaupt, einen zweiten Sherry gestatten sollte. Aber eine leise, zugleich unüberhörbare Stimme in ihrem Kopf verneinte. Wie jeden Tag gab sie das Glas nicht in die Spülmaschine, sondern wusch es mit der Hand und stellte es wieder in den Vitrinenschrank im Wohnzimmer. Sie wollte vermeiden, dass Frieder es zufällig in der Spülmaschine entdeckte.
    Daria duschte ausgiebig und setzte sich an den Schreibtisch im Arbeitszimmer, um die Übersetzung einer Freundin gegenzulesen. Die Gebrauchsanleitung für einen Rasierapparat, der seinen Weg in französische Regale finden sollte. Daria hatte die ersten Zeilen überflogen, als es klingelte. Es war genau zehn Uhr.
     
    Frieder hatte das Haus schweigend verlassen. Als er nach dem Zähneputzen wieder hinunterkam, räumte Daria gerade das Geschirr in die Spülmaschine. Frieder klopfte mit dem Autoschlüssel gegen die offen stehende Küchentür; Daria drehte sich um, und er dehnte die Lippen zu einer Art von Lächeln, das eher die Karikatur eines Lächelns war, wie ein Clown, der vor dem Spiegel seine Grimassen einübt.
    Der Volvo stand vor der geöffneten Garage, weil Svenja ihren Bagger und diverse Einzelteile des Kricketspiels mitten in der Garage liegengelassen hatte, und er sie aus Prinzip nicht wegräumen wollte. Aber es war wie so oft – als er mit dem Standardvorwurf auf den Lippen ins Haus kam, lag sie gerade in der Badewanne, und später versandeten seine Aufforderungen in Svenjas Standardantwort „Gleich, Papa“.
    Frieders direkter Weg zur Arbeit führte über die Autobahn im Osten Gerdings, aber er fuhr in die entgegengesetzte Richtung, in den Ort hinein. In einer Bäckerei gegenüber dem Bahnhof kaufte er eine Butterbrezel und, in einer Extratüte, zwei belegte Sandwichs, eine Apfeltasche und zwei Muffins. Er bog auf die Hauptstraße, die in einer gewundenen Linie den ganzen Ort von Norden nach Süden durchquerte. Obwohl wenig Verkehr herrschte und er konstant fünfzig fuhr, musste er an der übernächsten Ampel halten, als erstes Fahrzeug. Eine großgewachsene, dunkelhaarige Frau seines Alters lächelte ihm zu und hob freundlich grüßend die Hand, als sie den Zebrastreifen überquerte. Frieder grüßte zurück, obwohl er nicht wusste, wann und wo er ihr begegnet war. Vielleicht auf einem Kinderspielplatz, in Darias ehemaliger Mutter-Kind-Gruppe, in der Schule oder Svenjas Sportverein – Frieder erinnerte sich nicht mehr und war erleichtert, nicht mit ihr reden zu müssen. 
    Frieder blieb auf der Hauptstraße, Richtung München. Wenige hundert Meter hinter dem Ortsende bog er rechts ab auf einen Feldweg, der in ein schmales Wäldchen unmittelbar an der Isar führte. Frieder parkte den Wagen im Schutz der Bäume, sodass er von der Landstraße nicht gesehen werden konnte. Er nahm die beiden Tüten aus der Bäckerei, holte eine Decke aus dem Kofferraum und ging zum Fußweg, der parallel zur Isar bis nach München führte. Nach nicht einmal fünfzig Metern, hinter einem Stapel geschälter Baumstämme, duckte er sich und schlug sich ins Gebüsch. Er ging so zielstrebig und sicher wie jemand, der zu einem ganz bestimmten Punkt wollte und den Weg kannte. Nach wenigen Schritten hatte er den Punkt erreicht, eine kleine Lichtung, die zum Fußweg hin abgeschirmt war und gleichzeitig eine freie Sicht auf die Isar ermöglichte. Frieder breitete die Decke aus und legte sich darauf, mit angewinkelten Beinen, die Hände unter seinem Kopf verschränkt. Er schloss die Augen.
    Er hielt sie geschlossen, als er eine Hand auf seiner Stirn fühlte. Die Hand bewegte sich nicht, lag ganz leicht auf seiner Haut. Frieder atmete ruhig und tief, fast so, als würde er schlafen.
    „Ich habe dich nicht gehört“, sagte er schließlich und öffnete die Augen.
    Der Junge lächelte nur und strich Frieder wie einem Kind die Haare aus der Stirn.
    „Und mein Frühstück auf Rädern?“
    Frieder reichte ihm die größere der
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