Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
vor einer roten Ampel stehen blieb, beugte sich Dave vom Rücksitz des Buicks nach vorn und kreischte: »Fahr über sie, Onkel Milt! Fahr über sie!«
    Als Teenager darauf zu warten, bis sich der Hektograf nach einer gedruckten Seite »aufgefrischt« hatte, machte David wahnsinnig vor Ungeduld (beim »Auffrischen« schmolz die Tinte in eine blassviolette Membran, die wie der Schatten einer Seekuh in der Gelatine hing). Außerdem wollte er unbedingt Fotos in seine Zeitung bringen. Er machte gute Bilder, und mit sechzehn Jahren entwickelte er sie sogar selbst. In einem Wandschrank hatte er sich eine Dunkelkammer eingerichtet, und in diesem engen, nach Chemie stinkenden Loch entwickelte er Bilder, die von beeindruckender Klarheit und überlegtem Aufbau waren. (Das Foto auf der Rückseite von Regulator (Originaltitel: The Regulators ), auf dem ich mit der Zeitschrift zu sehen bin, in der meine erste Geschichte veröffentlicht wurde, hat Dave mit einer alten Kodak aufgenommen und in seiner Wandschrank-Dunkelkammer entwickelt.)
    Zu diesen Problemen kam noch, dass sich im unappetitlichen Umfeld des Kellers immer wieder seltsame, sporenähnliche Bakterienkolonien in der Gelatine einnisteten und sich von ihr ernährten, egal, wie sehr wir darauf bedacht waren, das verfluchte alte, bummelige Teil abzudecken, sobald das aufwendige Druckwerk des Tages vollbracht war. Was am Montag noch ganz normal aussah, wirkte manchmal am Wochenende wie ein Monster aus den Horror-Erzählungen von H. P. Lovecraft.
    In Brunswick, wo Dave zur Highschool ging, entdeckte er ein Geschäft, in dem eine kleine Walzendruckerpresse zum Verkauf stand. Sie funktionierte – so gerade. Man tippte den Text auf eine Wachsmatrize, die es im örtlichen Schreibwarenladen für 19 Cent das Stück zu kaufen gab. Diesen Vorgang nannte mein Bruder »Matrizen schneiden«, und das war meistens meine Aufgabe, da ich mich nicht so oft vertippte. Die Matrize wurde auf der Drehtrommel der Presse befestigt, mit der stinkendsten, schleimigsten Tinte der Welt eingeschmiert, und dann ging die Post ab: kurbeln, bis der Arm abfällt. So konnten wir an zwei Abenden schaffen, wofür wir vorher mit dem Hektografen eine ganze Woche gebraucht hatten. Und auch wenn die Walzendruckerpresse schmutzig war, so sah sie doch nicht aus, als wäre sie von einer möglicherweise tödlichen Krankheit befallen. Das kurze Goldene Zeitalter von Dave’s Rag war angebrochen.

18
     
    Am Druckvorgang hatte ich kein großes Interesse, auch nicht an den Mysterien der Fotoentwicklung und -reproduktion. Ich machte mir nichts aus dem Einbau von Hearst-Schalthebeln in Autos, aus der Herstellung von Cider oder Experimenten, deren Zweck es war, festzustellen, ob eine bestimmte Formel eine Plastikrakete in die Stratosphäre schießen konnte (meistens schafften sie es nicht einmal über das Haus). Was mich zwischen 1958 und 1966 am meisten fesselte, waren Filme.
    Ende der Fünfzigerjahre gab es bei uns in der Gegend nur zwei Lichtspielhäuser, beide in Lewiston. Das Empire war das erste Haus am Platz. Es zeigte Disneyfilme, Bibelepen und Musicals, in denen Ensembles aus blank polierten Tänzern im Breitwandformat tanzten und sangen. Ich sah sie mir an, wenn ich eine Mitfahrgelegenheit hatte – Film ist schließlich Film -, aber sie gefielen mir nicht besonders. Sie waren langweilig anständig. Sie waren vorhersagbar. Bei DIE VERMÄHLUNG IHRER ELTERN GEBEN BEKANNT (Originaltitel: THE PARENT TRAP) hoffte ich die ganze Zeit, Hayley Mills würde plötzlich Vic Morrow aus SAAT DER GEWALT (Originaltitel: THE BLACKBOARD JUNGLE) treffen. Das hätte das Ganze ein bisschen aufgelockert, weiß Gott. Ich hatte das Gefühl, dass ein Blick auf Vics Springmesser und in seine stechenden Augen Hayleys lumpige Familienprobleme schlagartig ins rechte Licht gerückt hätte. Und wenn ich nachts im Bett unter meiner Dachschräge lag und dem Wind in den Bäumen oder den Ratten auf dem Dachboden lauschte, dann träumte ich nicht von Debbie Reynolds als Tammy oder Sandra Dee als Gidget, sondern von Yvette Vickers aus ATTACK OF THE GIANT LEECHES oder Luana Anders aus DEMENTIA 13. Ich hatte nichts gegen Niedliches, nichts gegen Erbauliches oder gegen Schneewittchen mit ihren sieben Scheißzwergen. Aber mit dreizehn verlangte es mich nach Monstern, die ganze Städte fraßen, nach radioaktiven Leichen, die aus dem Meer kamen und Surfer verschlangen, und nach Mädchen in schwarzen BHs, die wie Flittchen aussahen.
    Auf Horrorfilme,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher