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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Nina George
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die Perdu ihnen schon bereitgestellt hatte.
    »Hallo?«, rief Monsieur Perdu nun. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich suche nichts«, röchelte Max Jordan.
    Der Bestsellerautor trat zögernd hervor, in jeder seiner Hände eine Honigmelone. Auf dem Kopf klemmten die obligatorischen Ohrenschützer.
    »Stehen Sie drei da schon lange, Monsieur Jordan?«, fragte Perdu gespielt streng.
    Jordan nickte, die verlegene Röte kroch bis unter seine dunklen Haarspitzen.
    »Ich kam, als Sie der Dame mein Buch nicht verkaufen wollten«, sagte er unglücklich.
    Oh, oh. Das war eher schlechtes Timing.
    »Finden Sie es denn so furchtbar?«
    »Nein«, antwortete Perdu sofort. Jordan hätte das allerkleinste Zögern als »ja« gedeutet. Es war nicht nötig, ihm das anzutun. Außerdem fand Perdu das Buch ja wirklich nicht furchtbar.
    »Aber wieso haben Sie gesagt, ich passe nicht zu ihr?«
    »Monsieur … äh …«
    »Nennen Sie mich doch Max.«
    Das hieße, dass der Junge mich auch bei meinem Vornamen nennen kann.
    Die Letzte, die es getan hatte, mit dieser schokoladenwarmen Stimme, war ***.
    »Bleiben wir doch zunächst bei Monsieur Jordan, Monsieur Jordan, ja? Schauen Sie, ich verkaufe Bücher wie Medizin. Es gibt Bücher, die sind für eine Million Menschen verträglich. Manche nur für hundert. Es gibt sogar Arzneien, pardon: Bücher, die nur für einen einzigen Menschen geschrieben sind.«
    »O Gott. Für einen? Nur einen einzigen? Und dafür all die Jahre Arbeit?«
    »Aber ja, wenn es ein Leben rettet! Diese Kundin, die brauchte Die Nacht jetzt aber nicht. Sie hätte sie nicht vertragen. Zu starke Nebenwirkungen.«
    Jordan überlegte. Betrachtete die Tausende Bücher in dem Frachter, in den Regalreihen, auf den Sesseln und Stapeln.
    »Aber wie können Sie wissen, welches Problem die Leute haben und welche Nebenwirkungen entstehen?«
    Tja. Wie sollte er Jordan klarmachen, dass er nicht genau wusste, wie er das machte?
    Perdu benutzte Ohren, Augen und Instinkt. Er war fähig, bei jeder Seele in einem Gespräch herauszuhören, was ihr fehlte. An jedem Körper bis zu einem gewissen Grad abzulesen, an der Haltung, an der Bewegung, an den Gesten, welche Gefühle ihn beugten oder erdrückten. Und schließlich besaß er das, was sein Vater »Durchhörsicht« genannt hatte. »Du siehst und hörst durch das hinweg, womit sich die meisten Leute tarnen. Und dahinter siehst du alles, was sie sorgt, was sie erträumen und was ihnen fehlt.«
    Jeder Mensch hatte Talente, und die »Durchhörsicht« war eben seines.
    Einer seiner Stammkunden, der Therapeut Eric Lanson, der in der Nähe des Élysée-Palastes praktizierte und Regierungsbeamte betreute, hatte Perdu mal seine Eifersucht gestanden – auf seine »psychometrische Fähigkeit, die Seele treffsicherer zu vermessen als ein Therapeut mit dreißig Jahren Zuhör-Tinnitus.«
    Lanson verbrachte jeden Freitagnachmittag in der Literarischen Apotheke. Er hatte einen lustvollen Hang zu Schwert-und-Drachen-Fantasy und versuchte, Perdu mit Psychoanalysen der Figuren ein Lächeln zu entlocken.
    Lanson schickte auch Politiker und ihre überspannten Büroleute zu Monsieur Perdu – mit »Rezepten«, auf denen der Therapeut die Neurosen in einem belletristischen Code notierte: »kafkaesk mit einem Hauch Pynchon«, »Sherlock, ganz irrational« oder »ein prächtiges Potter-unter-der-Treppe-Syndrom«.
    Es war eine Herausforderung für Perdu, Menschen (meist Männer), die mit Gier, Machtmissbrauch und stupider Büro-Sisyphosarbeit zu tun hatten, in das Leben mit Büchern einzuweihen. Und wie befriedigend war es, wenn einer dieser gepeinigten Ja-Maschinen den Job schmiss, der ihm bis dahin jedes Restchen Eigenheit geraubt hatte! Oft war ein Buch an der Befreiung beteiligt.
    »Schauen Sie, Jordan«, versuchte Perdu es jetzt anders. »Ein Buch ist Mediziner und Medizin zugleich. Es stellt Diagnosen und ist Therapie. Die richtigen Romane mit den passenden Leiden zusammenzubringen: Das ist die Art, wie ich Bücher verkaufe.«
    »Verstehe. Und mein Roman war der Zahnarzt, obwohl Madame eine Gynäkologin brauchte.«
    »Äh … nein.«
    »Nein?«
    »Bücher sind natürlich nicht nur Ärzte. Es gibt Romane, die liebevolle Lebensbegleiter sind. Manche sind eine Ohrfeige. Andere eine Freundin, die einem das angewärmte Badehandtuch umlegt, wenn man im Herbst melancholisch ist. Und manche … tja. Manche sind rosafarbene Zuckerwatte, prickeln für drei Sekunden im Hirn und hinterlassen glückliches Nichts. Wie eine
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