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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Nina George
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der Steinbrüstung und schaute in das weite, prächtige Land, das ausgebreitet unter ihm lag, das Tal des Calavon. Alles war so klein. Es war, als flöge er, einem der Bussarde gleich. Er roch die Luft. Atmete sie ganz und gar ein und aus. Er fühlte die Wärme und hörte den Wind in den Atlaszedern spielen. Er konnte sogar Manons Weinberg sehen.
    Neben einer der Zypressen, neben den Wasserschläuchen für die Blumen führte eine breite Steintreppe zur oberen Ebene.
    Dort setzte er sich hin, nahm den Korken von dem Weißwein, dem Manon XV, und goss etwas in das Glas.
    Vorsichtig nahm Jean einen Schluck. Er roch an dem Wein, es war ein fröhlicher Duft. Der Manon schmeckte nach Honig, nach hellem Obst, nach dem zärtlichen Seufzen kurz vor dem Einschlafen. Ein lebendiger, widersprüchlicher Wein, ein Wein voller Liebe.
    Das hat Luc gut gemacht.
    Er stellte das Glas neben sich auf die Steinstufen und schlug Manons Tagebuch auf. Er hatte in den letzten Tagen und Nächten immer wieder darin gelesen, während Max, Catherine und Victoria gemeinsam in den Weinbergen gearbeitet hatten. Manches kannte er inzwischen auswendig, anderes hatte ihn überrascht. Manches hatte ihn gekränkt, und vieles hatte ihn mit Dankbarkeit durchdrungen. Er hatte nicht gewusst, wie viel er Manon bedeutet hatte. Er hatte es sich wohl früher so gewünscht, aber jetzt erst, da er seinen Frieden mit sich gemacht hatte und neu verliebt war, erfuhr er die Wahrheit. Und sie heilte alte Wunden.
    Jetzt aber suchte er einen Eintrag, den sie in der Zeit des Wartens gemacht hatte.
    Ich habe schon lange genug gelebt, hatte Manon im späten Herbst notiert, an einem Oktobertag wie dieser hier. Ich habe gelebt, geliebt, ich habe also das Beste von der Welt gehabt. Warum das Ende bedauern? Warum festhalten am Rest? Der Tod hat den Vorteil, dass man aufhört, sich vor ihm zu fürchten. Es ist auch Friede in ihm.
    Er blätterte weiter. Nun kamen die Einträge, die ihm das Herz brachen vor Mitleid. In denen sie von der Angst erzählte, die in Wellen durch ihren Körper lief. Nachts, wenn Manon aufwachte in der stillen Dunkelheit und den Tod näherkriechen hörte. Auch in jener Nacht, als sie, hochschwanger, in Lucs Zimmer floh und er sie hielt bis zum Morgen, sich beherrschte, nicht zu weinen.
    Wie er es doch tat, unter der Dusche, wo er glaubte, sie hörte es nicht.
    Natürlich hatte sie es gehört.
    Immer wieder hatte Manon ihre Fassungslosigkeit über Lucs Stärke zum Ausdruck gebracht.
    Er hatte sie gefüttert und gewaschen. Hatte mit angesehen, wie sie immer weniger wurde, außer an ihrem Babybauch.
    Perdu trank noch ein Glas, bevor er weiterlas.

Mein Kind nährt sich von mir. Von dem gesunden Fleisch nimmt es sich. Mein Bauch ist rosig, prall und lebendig. Da drin sitzt wahrscheinlich ein Rudel kleiner Katzen, so munter, wie es zugeht. Der Rest von mir ist tausend Jahre älter. Grau und faulig und dürr wie Knäckebrot, das die Nordländer immer essen. Mein Mädchen wird goldene, fettig glänzende Hörnchen essen dürfen. Sie wird siegen, siegen über den Tod, wir machen ihm eine lange Nase, dies Kind und ich. Ich möchte sie Victoria nennen.

    Wie hatte sie ihr ungeborenes Kind geliebt! Wie hatte Manon es mit der Liebe gefüttert, die überreichlich in ihr brannte.
    Kein Wunder, dass Victoria so kraftvoll ist, dachte er.
    Manon hat sich ihr ganz gegeben.
    Er blätterte zurück, zu jener Augustnacht, in der Manon beschloss, ihn zu verlassen.

Du liegst jetzt auf dem Rücken wie ein Tänzer in der Pirouette. Ein Bein lang, das andere angezogen. Ein Arm über dem Kopf, das andere fast in die Seite gestemmt.
Du hast mich immer angesehen, als sei ich einzigartig. Fünf Jahre lang, nicht ein einziges Mal hast du mich genervt oder gleichgültig angeschaut. Wie hast du das bloß geschafft?
Castor starrt mich an. Vermutlich sind wir Zweibeiner äußerst merkwürdig für Katzen.
Die Ewigkeit, die auf mich wartet, kommt mir erdrückend vor.
Manchmal, aber das ist ein wirklich böser Gedanke, manchmal hatte ich mir gewünscht, dass es jemanden gibt, den ich liebe und der vor mir geht. Damit ich weiß, dass ich es auch schaffen kann.
Manchmal dachte ich, dass du vor mir gehen musst, damit ich es auch kann. In der Gewissheit, dass du auf mich wartest …
Adieu, Jean Perdu.
Ich beneide dich um all die Jahre, die du noch hast.
Ich gehe in mein letztes Zimmer und von dort aus in den Garten. Ja, so wird es sein. Ich werde durch eine freundliche hohe Terrassentür schreiten
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