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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels
Autoren: David Whitley
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Observatoriums hinüber und ließ den Blick durch die Straßen schweifen, vorbei an den Trümmern und zerfallenden Gebäuden mit ihren Spuren von Gewalt und Kämpfen, bis ihr Blick schließlich auf den großen Marktplatz fiel.
    »Agora ist fast zerbrochen«, sinnierte Lily, während sie Theo anschaute, dessen große, ungelenke Gestalt noch aus dieser Entfernung inmitten der Menschenmenge erkennbar war. »Ich glaube, was die Stadt am meisten braucht, ist ein Heiler.«
    Mark lächelte. »Also … was meinst du?«, fragte er. »Wie kommen wir zurück zum Tempel, ohne dass sie uns bemerken?«
    Zu ihrer eigenen Überraschung spürte Lily, dass sie grinste. »Wir nehmen die Strecke flussaufwärts. Auf diesem Weg gibt es mehr Brücken über die Ora, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dort jetzt noch allzu viele Eintreiber herumgeistern.«
    »Das ist ein weiter Weg«, sagte Mark und polterte die Eisenstufen zum Vorraum hinunter.
    Lily folgte dicht hinter ihm. »Stimmt«, erwiderte sie, während sie durch die Bronzetür und hinaus auf die steinerne Wendeltreppe trat, wo sie beide sich vier Jahre zuvor zum ersten Mal begegnet waren. »Aber ich habe keine Lust auf einen Ausflug durch die Elendsviertel. Und in einer Seitengasse von dem einzigen verzweifelten Schuldner, zu dem die gute Nachricht noch nicht vorgedrungen ist, abgestochen zu werden, ist nicht meine Vorstellung von einem perfekten Tagesabschluss.«
    Mark lachte, während er die Stufen hinuntertrottete. »Schön, aber dann wird es länger dauern, bis wir schlafen können. Ist dir klar, dass dies wahrscheinlich der einzige Zeitpunkt ist, an dem der Tempel für eine ganze Weile leer steht? Du erinnerst dich doch noch, wie sich Frieden und Ruhe anfühlten, oder?«
    Lily kam an einer offenen Tür vorbei. Sie blieb stehen. Der dahinter liegende Raum mit seinen weißen Abdecktüchern über den Möbeln hatte etwas Vertrautes an sich. Unterhalb von Lily, weiter die Stufen hinab, blieb nun auch Mark stehen. Er drehte sich um und schaute aus der Dunkelheit mit plötzlich ernster Miene zu ihr auf.
    »Lily … bist du sicher, dass wir das Richtige tun?«
    »Bestimmt werden sie es verstehen«, sagte Lily, noch immer von diesem Kämmerchen abgelenkt, das sie an irgendetwas erinnerte. »Sie werden bald wieder im Tempel sein …«
    »Das meinte ich nicht«, erklärte Mark und kratzte sich am Hinterkopf. »Können wir einfach weggehen? Ich meine, mehr als hundert Jahre Planung, während denen der Waage-Bund drei Zivilisationen gründete, die alle auf uns hinausliefen, den Protagonisten und die Gegenspielerin, die legendenumwobenen Richter … Und wir gehen einfach weg? Müssen wir unsere Rolle nicht zu Ende spielen? Einen Anführer wählen? So etwas wie ein Urteil fällen?«
    Lily blickte in das alte Zimmer. Einen kleinen Moment drang Sonnenlicht durch den Fensterschlitz und beleuchtete ihr Gesicht. Plötzlich fiel es ihr ein. Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie Mark begegnet war, jenen Moment, an dem ihrer beider Leben sich miteinander verwoben hatten und ganz Agora begonnen hatte, sich zu verändern. In diesem kleinen Moment, während sie durch das Fenster starrte, stellte sich die ganze Stadt in ihrer seltsamen Pracht vor ihr dar. So ähnlich wie damals, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte, aber dank Mark und ihr und all ihren Freunden so vollkommen anders. Sie sah neu aus, und Lily hatte das Gefühl, sie zum ersten Mal wirklich zu sehen.
    Lächelnd schaute sie zu Mark hinunter und hörte in diesem Moment von weit entfernt erneut lauten Jubel, als Theo seine Rede beendete.
    »Ich glaube, das haben wir schon«, sagte sie.
    Und schloss die Tür.

KAPITEL 29
    Anfang
    Als Mark auf Lily stieß, stand diese am Rand der Klippe und starrte aufs Meer hinaus.
    »Ich hätte gedacht, du hilfst mit beim Beladen des Schiffes«, sagte Mark und stellte sich neben sie.
    Sie lächelte ihm kurz zu. »Kommt nicht in Frage«, sagte sie. »Laud und Honorius streiten sich immer noch darüber, wo die letzten Vorräte verstaut werden sollen. Wir wollten eigentlich im Morgengrauen in See stechen, aber das schaffen wir wohl nicht mehr. Ich könnte an Bord warten, aber ich glaube, ich überlasse es einfach ihnen. Es könnte eine lange Reise werden, da ist es besser, wenn sie ihre Meinungsverschiedenheiten jetzt klären.«
    Mark nickte verständnisvoll. Sie waren erst vor einer Woche an der Kathedrale angelangt und hatten eine Menge für ihre Reise vorbereiten müssen. Keiner von ihnen wusste,
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