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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels
Autoren: David Whitley
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hatte seine Überzeugungen, Lily. Die haben wir alle.«
    Lily runzelte die Stirn. »Wir leben für unsere Überzeugungen. Er hat versucht, uns für seine zu töten«, sagte sie seufzend. »Ich weiß, es ist nicht perfekt, aber ich bin bereit, damit zu leben, wenn du es auch bist«, sagte sie.
    Mark nickte zögerlich. »In Ordnung«, stimmte er zu.
    Dann herrschte Schweigen.
    »Also …«, sagte Mark schließlich. »Jetzt nach Hause?«
    Lily musste unwillkürlich lachen und daraufhin prompt husten. »Ist es das?«, fragte sie. »Diese ganzen Pläne und Prophezeiungen, und alles läuft darauf hinaus?« Sie dachte einen Moment darüber nach. Es hatte schon einen gewissen Reiz – es war mit Sicherheit das Letzte, was sich die alten Waage-Leute vorgestellt hatten.
    Sie zerrte an den Steinen. Wie durch ein Wunder hatte sie sich offenbar nichts gebrochen, doch die untere Hälfte ihres Körpers war unter dem Schutt eingeklemmt, und sie konnte sich nicht bewegen. Jedes Mal, wenn sie es versuchte, spürte sie, wie sich das Felsgestein unheilverkündend verschob.
    »Bei dir auch?« Mark ächzte vor Anstrengung. »Meinst du, wenn wir um Hilfe rufen, wird jemand kommen?«
    Lily lauschte. In der Ferne hörte sie Rufe und einen Ansturm näher kommender, über den Felsboden trampelnder Schritte.
    »Ich glaube, das brauchen wir nicht.«
    Mark verdrehte den Kopf und sah, wie Septima und Tertius auftauchten. Ihre normalerweise leuchtenden Gewänder waren von Staub bedeckt, und die beiden blickten gehetzt drein. Als sie den Schutt sahen, blieben sie abrupt stehen. Sprachlos starrten sie vor sich hin, während andere Naruvaner zu ihnen aufschlossen. Mit rotem Kopf und keuchend kam schließlich auch der Dirigent herbei.
    »Warum seid ihr stehen geblieben?«, schnaufte er. »Wir müssen den Stellvertreter dazu bringen, uns zu sagen, warum unser Land von Leid überzogen wird …« Er verstummte. Eine ganze Weile starrte er stumpfsinnig auf den Schutt, bis Lily es nicht länger aushielt.
    »Dirigent, wollen Sie uns nicht helfen, hier herauszukommen?«, fragte sie so höflich sie konnte, durch eine erneute Staubwolke hustend. Der Dirigent gab keine Antwort. Er war lediglich imstande, auf den Gesteinshaufen zu schauen, der einmal der Eingang zur Felskammer des Orakels gewesen war. Lily blickte Tertius und Septima an, doch die beiden wirkten gleichermaßen benommen.
    »Die Harmonie ist fort«, flüsterte Septima. »Der Mittelpunkt ist zerbrochen, und die Kristalle sind verstummt …«
    »Wohin wird unser Wissen gehen?«, fragte Tertius, in dem Panik aufkam. »Was werden wir tun? Wie werden wir leben?«
    »Wir werden euch helfen«, beteuerte Mark hastig. »Das versprechen wir. Aber bitte, ihr müsst uns hier heraushelfen …«
    Ein paar Wächter, die im Hintergrund standen und noch immer Handschuhe und Masken trugen, schauten den Dirigenten an. Er gab ihnen jedoch keinerlei Anweisungen. Aus seinem Gesicht war sämtliche Farbe gewichen.
    »Ihr habt alles zerstört«, sagte er wie betäubt. »Wir haben nichts mehr. Nichts außer leeren, stummen Höhlen … für immer und ewig …«
    Lily schloss die Augen. Er tat ihr leid, keine Frage. Aber mit jeder Sekunde, die verging, fiel ihr das Atmen schwerer. Sie hatte keine Zeit, um einfühlsam zu sein.
    »Dirigent«, sagte sie energisch. »Unser so genannter Vermittler ist nicht mehr. Das bedeutet, dass wir wieder zuständig sind, nicht wahr?«
    Dieser strenge Ton rief eine Reaktion hervor; der Dirigent runzelte die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher. Es gab keine Anweisungen für diesen Fall, und das ehemalige Orakel weigert sich, mit mir zu sprechen …«
    »Dann werden Sie diese Entscheidung selbst treffen müssen«, forderte Mark. »Die Pläne und Prophezeiungen sind Geschichte. Es geht jetzt nur um Sie, Dirigent. Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?«
    Der Dirigent fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er wirkte verloren, so als wache er gerade aus einem langen, friedlichen Traum auf.
    Er blickte zu Lily hinunter. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er schreckte zurück, doch sie hielt den Arm weiter ausgestreckt.
    »Es ist eine neue Welt, Dirigent«, sagte sie. »Ein neues Leben. Neue Wege. Lassen Sie sich nicht von der Vergangenheit beherrschen.«
    Der Dirigent warf einen Blick zurück auf seine Leute. Sie standen stumm da und hatten ihre großen, dunklen Augen auf ihn und Lily geheftet.
    Er wappnete sich.
    Dann nahm er ihre Hand.
    Überraschtes Geflüster kam in den Reihen der Naruvaner
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