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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere
Autoren: Tatjana Stepanowa
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Ich bin doch nicht taub.«
    Der Wachmann holte Luft, und an seinem erregten und bestürzten Gesicht erkannte Saljutow, noch bevor er die Nachricht hörte, dass etwas Schlimmes passiert war.
    Gleb Kitajew war aus der Wachstube ins Vestibül gerufen worden. Er hatte zuvor mit einiger Mühe den Konflikt mit dem Gast, der beim »Black Jack« verloren hatte, beigelegt. Der junge Mann war nach längerem Zureden bereit, sich von einem Wachmann in die Bar geleiten zu lassen, wo er mit Kitajews Billigung auf Kosten des Hauses bewirtet wurde. Die Regeln des Kasinos besagten unter anderem, dass ein Kunde, der dabei ertappt wurde, wie er andere Gäste um Geld anging, augenblicklich in eine so genannte Spezialliste eingetragen wurde. Ungeachtet des klangvollen Familiennamens, den sein Papa trug, war dieser junge Mann damit zur persona non grata geworden und würde beim nächsten Besuch des »Roten Mohn« kaum weiter als bis zur Eingangstür gelangen.
    Kitajew berichtete Saljutow telefonisch von diesem unliebsamen Vorfall, sagte, er werde die nächste Schicht des Sicherheitsteams entsprechend instruieren und dann unverzüglich nach oben zur Familie in den Bankettsaal kommen. Gerade hatte er den Hörer aufgelegt, da stürzte einer der Wachmänner in den Raum.
    »In der Toilette hat sich jemand erschossen!«
    »Was?!« Kitajew traute seinen Ohren nicht. »In der Toilette? Hier bei uns? Erschossen?! Wo ist denn Teterin?!«
    Vor der Tür zur Toilette im Vestibül hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt. Ein kahlköpfiger Mann, der einen teuren Anzug trug und ganz bleich und aufgeregt war, erzählte den Männern des Sicherheitsdienstes verworren, was geschehen war.
    Kitajew schob die Leute auseinander und wollte gerade die schwere Toilettentür aufreißen, da vernahm er hinter sich den erregten Schrei einer Frau: »Gleb, Gleb, was ist passiert?«
    Er wandte sich um.
    Auf ihren hohen Stöckeln stolpernd und sich in ihrem langen schwarzen Abendkleid verheddernd, kam Marina Saljutowa die Treppe herunter. Auf der letzten Stufe wäre sie fast gestürzt – er konnte sie gerade noch auffangen.
    »Gleb, was ist passiert? Wer hat sich erschossen?« Sie schnappte nach Luft wie nach einem Marathonlauf. »Wer ist es? Wer, sag es . . .«
    Mitten im Satz blieb sie stecken. Ihr Gesicht wurde starr. In ihren Augen – das prägte sich Kitajew auf lange Zeit ein – erschien ein seltsam stumpfes, verständnisloses Erstaunen . . .
    Saljutow kam rasch die Treppe herunter.
    Kitajew befreite sich vorsichtig von der sich an ihn klammernden Frau und öffnete die Tür zur Toilette. Der geräumige, vor Sauberkeit blitzende Raucherraum war leer. Leer war auch der Platz hinter der weißen Plastiktheke, wo gewöhnlich Teterin thronte – der »Toilettenmann«.
    Kitajew ging durch den Vorraum – rosa Marmorverkleidung, Spiegel, italienische Waschbecken – und betrat die Toilette. Unter der Tür der zweiten Kabine sickerte ein dünnes, granatrotes Rinnsal heraus und floss über den gefliesten Boden. Kitajew drückte gegen die Kabinentür – sie war nicht abgeschlossen.
    Mit der Brust auf dem Toilettenbecken lag dort ein Mann in schwarzer Uniformjacke mit goldenen Litzen. Seine Arme umklammerten immer noch wie in einem Krampf den Porzellanbehälter. Die Mütze mit dem Goldrand lag neben ihm. Sein Gesicht war blutüberströmt, aber Kitajew erkannte den Toten trotzdem sofort. Es war der »Toilettenmann« Teterin.

5
    Eigentlich war es ein typisches Bild. Bis auf ein Detail – die Patronenhülse. Logischerweise hätte man sie sofort finden müssen. Aber sie war nicht da.
    Doch alles der Reihe nach.
    Für Nikita Kolossow, den Chef der Mordkommission im Polizeipräsidium, war es ein Rätsel – und kein besonders amüsantes – , wie der diensthabende Milizionär im Präsidium ihn am Abend des fünften Januar hatte ausfindig machen können.
    Silvester und Neujahr hatte Kolossow in gemütlicher Runde bei Iwan Bindjushny in Skarabejewka gefeiert. Am Abend des 31. Dezember waren er und sein bester Freund Nikolai Swiderko zu ihrem gemeinsamen Freund und Kollegen Bindjushny aufgebrochen, der sie am Vorabend telefonisch eingeladen hatte. Die Männer kannten einander schon seit langem. Bindjushny galt als äußerst fähiger Ermittler. Kaum dreißig, hatte er schon Karriere gemacht. Aber sein Glück erwies sich als unbeständig. Nach einer ganzen Kette von privaten Katastrophen (unter anderem eine alles andere als einvernehmliche Scheidung von seiner Frau, die
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