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Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)

Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)

Titel: Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
Autoren: Rainer Wekwerth
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langsam. »Ist es Hass, wenn man beim Gedanken an den Tod eines anderen nichts empfindet? – Nein, vielleicht hasse ich sie nicht. Sie ist mir einfach egal. Ich hoffe nur, dass sie alles Böse in ihr mit sich nimmt. Was kümmert es dich schon?«
    Warum bin ich so gemein zu ihm? Er hat sein Leben riskiert, um mich zu retten.
    Irgendetwas an León reizte sie. Selbst hier und jetzt. Es war die Art, wie er sie in der Ebene behandelt hatte. Wie ein Stück Fleisch. Wie Vieh. Unbarmherzig hatte er sie angetrieben, sie beschimpft und beleidigt.
    Ohne ihn hättest du es niemals geschafft. Du wärst irgendwann zu Boden gegangen, hättest dich dem Selbstmitleid ergeben und wärst gestorben.
    Trotzdem, León weckte Gefühle in ihr, die sie nicht mochte. In seiner Nähe war sie ständig wütend. Sie konnte gar nicht anders. Die Gefühle wallten in ihr auf, dann war sie nicht mehr sie selbst. Und obwohl sie so gut wie nichts über ihr früheres Leben wusste, sich nicht erinnern konnte, was für ein Mensch sie gewesen war und was für ein Leben sie geführt hatte, wollte sie so nicht sein. Die Gefühle, die León in ihr hervorrief, waren so stark, dass sie sich selbst für diese Schwäche hasste.
    Am liebsten würde ich ihm eine scheuern!
    Sie lachte leise auf. Das wäre doch mal was, dem Jungen eine Ohrfeige zu verpassen, der sein Leben für mich riskiert hat.
    Alles ist besser, als dort unten in der Höhle an die Wand gefesselt zu sein und darauf zu warten, was dieser Mistkerl mit mir anstellt. Ich sollte ein bisschen dankbarer sein.
    Sie schaute zu León hinüber, der mit verschlossener Miene in die Nacht lief. Sie wusste, der Moment für Dankbarkeit war verstrichen.
    Wenn man sich diese bescheuerten Tätowierungen wegdenkt, sieht er ganz nett aus. Wie ein harmloser Teenager.
    Aber er war alles andere als das. Ebenso gut konnte man eine Klapperschlange als harmlos bezeichnen.
    »Glaub mir: Kathy ist nicht tot«, sagte er ganz unvermittelt. Seine Augen blitzten im Mondlicht auf. Mary durchzuckte ein Gedanke: Was war, wenn es Kathy vor ihnen bis zu den Toren schaffte? Jeb und die anderen würden verhindern, dass sie eines der Portale benutzte, aber wenn die Gruppe die Tore noch nicht erreicht hatte, konnte Kathy einfach so durch eines der Portale marschieren und einer von ihnen musste zurückbleiben.
    »Kathy ist nicht tot«, wiederholte León.
    Mary beschleunigte ihre Schritte.
    Kathy war nicht tot. Sie rannte um ihr Leben. Nachdem sie den großen Platz überquert hatte, war sie schlitternd um eine Straßenecke gebogen und in eine schmale Gasse zwischen zwei bis zum Himmel reichende Häuser gestürmt. Sie hatte es geschafft, wieder etwas Abstand zwischen sich und die Männer zu bringen, aber nun zitterten ihre Muskeln vor Anstrengung. Wie knapp es bei dem Kampf mit dem Hund tatsächlich für sie gewesen war, begriff sie erst jetzt. Aber sie verdrängte diesen Gedanken, sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Ihr Atem rasselte. Die Lungen schmerzten durch die Kälte. Trotzdem lief sie weiter.
    In der Gasse war es ziemlich dunkel und ein paar Mal wäre sie fast gestolpert. Hinter ihr erklangen leise Rufe. Sie blickte über die Schulter zurück. Fackellicht zuckte durch die Finsternis, tanzte über den Schnee. Ihre Verfolger waren nicht mehr weit. Kathy bemerkte, dass sie aus Vorsicht vor einem weiteren Sturz zu viel Vorsprung eingebüßt hatte, aber ihr fehlte die Kraft, um noch einmal zu beschleunigen.
    Ist dies das Ende?
    Da spürte sie ein bitteres Grinsen über ihr Gesicht zucken. Das Ende ist noch nicht da. Lauf weiter! Was anderes bleibt dir gar nicht übrig oder willst du aufgeben? Wohl kaum.
    Nein, sie würde bis zum Umfallen weiterrennen. Vor ihr wurde es noch dunkler, die Straßenschlucht enger. Das Mondlicht erreichte nicht einmal den Boden vor ihren Füßen. Dann erkannte Kathy auch den Grund dafür. Die schmale Straße war eine Sackgasse. Vor ihr ragte eine dunkle, glatte Wand auf. Keine Möglichkeit, da hochzuklettern.
    Kathy blieb vor der Wand stehen und sah zum Himmel hinauf. Dort oben war die Unendlichkeit…
    ...und hier unten lauert der Tod.
    Sie ließ den Kopf auf die Brust sinken. Fast hätte sie es geschafft.

50.
    Kathy hörte das Knirschen des Schnees, sie sah das zuckende Fackellicht und wusste, sie würde kämpfen. Ihre Augen suchten fieberhaft die Hauswände neben ihr ab.
    Da, ein Schatten. Eine dunkle Fläche in der Mauer eines der Häuser.
    Vielleicht eine Tür.
    Sie rannte hinüber.
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