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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal
Autoren: Katrin Burseg
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man sich, sollten über das zähe Blut in ihren Adern schlicht wahnsinnig geworden oder von abstoßendem Äußeren gezeichnet gewesen sein.
    Wiebke hatte versucht, sich die Fratzen der Österreicher vorzustellen. Sie mussten teuflisch sein, von fürchterlichen Malen entstellt. Warum nur erkannten die Katholiken nicht, dass sie dem Bösen folgten? Doch niemand konnte ihre Fragen beantworten. Je mehr sich die Männer über die seltsamen Sitten der Habsburger erregt hatten, desto tiefer waren sie in das politische Durcheinander vorgedrungen. „Ferdinands Imperium besteht doch nur noch aus einem großen Namen“, hatten sie festgestellt, und der Pastor hatte hinzugefügt: „Das Heilige Reich ist ein einziges Wirrwarr von Fürstenstaaten, ein merkwürdiges Miteinander von Herzögen und Grafen.“
    Seinen brüchigen Zusammenhalt verdankte der Bund auch dem Augsburger Religionsfrieden. Der Pastor hatte sie daran erinnert, dass der Vertrag nach der Glaubensspaltung das friedliche Zusammenleben zwischen Katholiken und Protestanten geregelt hatte. „Den Fürsten wurde nicht nur das verweltlichte Kirchengut zugesprochen, sie können auch den Glauben ihrer Untertanen bestimmen. Der Kaiser selbst besitzt seitdem keine religiöse Gewalt im Reich mehr.“
    Wiebke wusste, für ein halbes Jahrhundert – so lange, wie ihr Vater schon lebte – hatte diese Regelung gut funktioniert. Es herrschte Frieden in Deutschland, während sich die europäischen Nachbarn in blutigen Religionskriegen verwüsteten. Doch die alten Konflikte brachen wieder auf, als die katholischen Stände begannen, Land und Macht zurückzufordern. Alle nach dem Religionsfrieden verweltlichten Ländereien sollten wieder katholisch werden.
    Vor allem die kleinen evangelischen Länder fühlten sich jetzt von den Katholiken bedroht und vom Kaiser im Stich gelassen. Am Morgen hatten sich die Männer über die Unfähigkeit der Fürsten beklagt: „Als sich die Herren nicht einigen konnten, gründeten sie einfach zwei gegeneinandergerichtete militärische Glaubensbündnisse – die protestantische Union und die katholische Liga“, schimpften sie. Den Männern war klar, dass Union und Liga dem Geist der alten Reichsverfassung widersprachen. „Doch die Furcht vor der anderen Seite ist stärker als jede Vernunft und Bindung an das Reich“, hatte der Pastor sorgenvoll nickend hinzugefügt.
    Tatsächlich war die Erschütterung der Alten Welt groß, über die Formen des Neuen musste von nun an gestritten werden. „Die Gräben zwischen den Parteien sind inzwischen so tief, dass es entweder eines großen Kaisers oder eines großen Kriegsherrn bedarf, um sie zu bezwingen“, hatte sich Wiebkes Vater zu Wort gemeldet. Doch inzwischen war den Holsteinern durchaus bewusst, dass der Aufstand der böhmischen Glaubensbrüder einen stürmischen Brand in ganz Europa entfacht hatte. Auch wenn Wiebke hoch oben im Apfelbaum wenig von dem bedrohlichen Getöse wusste, hörte sie doch immer wieder die Sorge und Furcht aus den Stimmen der Erwachsenen heraus. Im ganzen Land suchten die Menschen nach Antworten auf die Bedrohung. Viele meinten, es seien teuflische Mächte am Werk. Ein neuer Hexenwahn griff um sich und infizierte viele Bürger mit atemloser Furcht vor allem Unerklärlichen.
    Jetzt standen die Bauern in kleinen Gruppen auf ihren Höfen zusammen. Wiebke beobachtete die Frauen, die sich in ihrer Sonntagstracht mit den dunklen Röcken und weißen Hauben den alltäglichen Ärgernissen zugewandt hatten. Sie schimpften über die Marktpreise, die wegen der Angst vor einem Krieg immer weiter stiegen. Außerdem manipulierten Münzer und Wechsler die Geldstücke. Die Betrüger beschnitten die größeren Münzen am Rand und prägten daraus neues Geld. Oder sie schmolzen Silbermünzen ein und vermischten das Metall mir billigem Kupfer. Niemand wusste, was Schillinge, Kronen und Taler tatsächlich wert waren. Und so stiegen die Preise für Butter oder ein Scheffel Gerste an manchen Tagen schneller, als der Schatten über den Marktplatz wandern konnte.
    Nicht weit vom Apfelbaum entfernt entdeckte Wiebke ihren Vater. Henneke Kruse überragte die Umstehenden um einen halben Kopf. Mit seinen breiten Schultern und dem dichten blonden Haar und seinem ebenso vollen Bart war er eine stolze Erscheinung. Seine Haltung und sein gerader Blick zeigten das Selbstbewusstsein des freien Bauern. Er fürchtete nichts und niemanden und er war allein seinem Landesherrn, dem dänischen König, verpflichtet.
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