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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal
Autoren: Katrin Burseg
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stark und sicher, sein Gottvertrauen war noch nie erschüttert worden. „Wir sind freie Bauern. Kein Fürst kann unsere Söhne unter seine Fahne rufen. Und wer freiwillig in den Krieg ziehen will, wird doch von jeder Kugel verschont bleiben, wenn das der Wille des Herrn ist.“
    „Was ist das für ein Lärm?“, unterbrach ihn Claas Soodt, als plötzlich Kindergeschrei an seine Ohren drang.
    „Das sind deine Jungen“, erwiderte Henneke Kruse lachend und zeigte zum Fluss. „Sie suchen wohl nach Wiebkes Versteck. Es wird sich einer zu weit vorgewagt haben und ins Wasser gefallen sein. Hörst du nicht, wie sie sich darüber lustig machen?“
    „Deine Tochter ist wirklich schlau. Ihre blonden Zöpfe und das fröhliche Lachen können ihren klugen Kopf nicht verbergen.“ Claas Soodt schüttelte den Kopf. Das Mädchen hat die abenteuerlichsten Einfälle, und immer ist es den Jungen voraus, dachte er. Wer weiß, wo sich das Kind jetzt wieder verkrochen hatte? Neulich hatte er die Kleine im Stall unter den Futtertrögen entdeckt. Er musste ihr versprechen, das Versteck nicht zu verraten. Am Ende hatten die Jungen die Suche aufgegeben. „Wer deine Wiebke einmal heiraten wird, ist ein glücklicher Mann“, schloss er deshalb lächelnd und klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter.
    Von seinen vier Kindern, zwei Söhne und zwei Töchter, besetzte Wiebke tatsächlich einen eigenen Platz im Herzen von Henneke Kruse. Sie war besonders – zart und doch eigensinnig, ernst und klug, bis sie im nächsten Moment in eine Fröhlichkeit ausbrach, die sie leuchten ließ. Ihre Neugier ließ ihm keine ruhige Minute. Mit Staunen, Freude und Verwunderung blickte sich das Mädchen in der Welt um, und ständig lag ihm seine Stimme in den Ohren, die ihn über die Geheimnisse des Lebens ausfragte: „Vater, können wir auf dem Fluss hinab zum Meer schwimmen?“, wollte es wissen, oder: „Vater, warum können wir die Tiere aus dem Wald nicht zähmen?“
    Ihre Späße und Streiche hatten die Kleine auch zum Liebling des Dorfes gemacht. Noch immer lachten die Bauern über das Gesicht des Schulmeisters, der beim Angeln plötzlich einen geräucherten Aal aus dem Wasser gezogen hatte. Als eine Horde Kinder lachend davongestoben war, aus deren Mitte blonde Zöpfe im Wind flogen, war allen klar, dass Wiebke dem glücklosen Angler den Leckerbissen heimlich auf den Haken gespießt hatte.
    Besonders Nachbar Soodt beobachtete sein Patenkind stets mit einem Lächeln. Henneke Kruse ahnte, dass er sie sich später einmal als Braut an der Seite seines ältesten Sohnes wünschte. Doch darüber war noch nie ein Wort zwischen den Freunden gefallen. Ihr stilles Einverständnis galt ihnen mehr als jede Verabredung.
    Die beiden Männer waren während des Gesprächs langsam weiterspaziert. Als sie unter dem Apfelbaum stehen blieben, hätte Wiebke ihnen mühelos eine der unreifen Früchte auf die dunklen Kappen werfen können. Doch das Mädchen hielt still und gab der Versuchung nicht nach. Es wollte dem Gespräch lauschen. Zu interessant war das alles, was es in seinem luftigen Versteck zu hören bekam.
    „Von Wiebkes Hochzeitstag haben wir wohl nicht viel Freude zu erwarten“, nahm Henneke Kruse das Gespräch wieder auf. Er zuckte mit den Schultern und schob sich die Mütze in den Nacken.
    „Wenn sie den alten Kerl heiratet, wird keiner auf der Hochzeit tanzen wollen“, sagte auch die Mutter, die sich inzwischen mit einigen Frauen zu den Männern gesellt hatte. Neben ihrem Mann wirkte sie zart und zerbrechlich. Das lange, honigblonde Haar, ihr ganzer Stolz, trug sie geflochten und aufgesteckt unter einer Haube. Ihr hübsches Gesicht wurde von den gleichen warmen und lebhaften Augen beherrscht, die auch ihre Tochter schmückten.
    „Da werden die jungen Leute wohl aufpassen, dass dieser Tag nicht kommen wird.“ Claas Soodt schnaubte und stampfte unwirsch mit dem Fuß auf. „Dass sich ja kein buckliger, zahnloser Greis in ihre Nähe wagt.“
    „Warum soll das Mädchen denn einen alten Mann heiraten?“, mischte sich die Frau des Schulmeisters ein. Sie wohnte noch nicht lange im Dorf und kannte die alten Familiengeschichten nicht.
    „Das ist ihr von einer Zigeunerin prophezeit worden, noch ehe sie getauft war“, seufzte die Mutter und blickte ihrem Mann in die Augen. Sie konnte sich noch gut erinnern. Ihre Tochter war an einem Donnerstag geboren worden, und sie musste mit dem Kind ein paar Tage liegen, um sich von den Strapazen der Geburt zu erholen,
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