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Das Königsmädchen

Das Königsmädchen

Titel: Das Königsmädchen
Autoren: Martina Fussel
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laut. Sie war älter als wir anderen und mit ihren dreiundzwanzig Jahren war es wohl ihre letzte Chance, die neue Oberste zu werden. Wie ich wohnte sie mit ihrer Familie auf dem Plateau. Wieso, wusste ich nicht, denn weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten mit dem Tempel zu tun, was oft für Gesprächsstoff sorgte. Vielleicht hatte ihr Großvater als einer der Weisen etwas damit zu tun.
    »Schön seht ihr zwei aus«, flötete sie.
    »Wen interessiert das schon?«, gab ich zurück.
    »Pah, stundenlang parat gemacht und jetzt fragt sie, wen das interessieren soll.«
    »Ach Jole, hör doch auf zu zanken«, sagte Hanna. »Lass Lilia einfach in Ruhe.«
    »Ich weiß nicht, was du an ihr findest, Hanna, sie ist die größte Konkurrenz für uns! Erstens kennen sich der neue Oberste und sie schon und zweitens wird sie von den Jungfern bevorzugt werden, nur weil sie Nanas Tochter ist.«
    »Das stimmt doch gar nicht!« Am liebsten hätte ich ihr die Frisur ruiniert.
    »Sie kennt ihn?«, fragte Hanna überrascht.
    »Klar, weißt du noch nicht, wen sie zum Obersten gewählt haben?«
    Hanna schaute mich an, weil sie dachte, ich wüsste, wer gewählt wurde. Doch ich war genauso ahnungslos und überrascht, dass Jole es schon wusste.
    »Wer ist es denn?«, fragte Hanna schnell, doch in dem Moment erklang schon die große Glocke, die nur bei den größten Ereignissen des Landes läutete: bei der Deligo, wenn unsere Krieger in den Krieg zogen oder wenn wir bedroht wurden. Im letzteren Fall läutete sie, bis die Gefahr gebannt war. Aber soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte uns keines der drei anderen Völker in den letzten Jahren angegriffen. Es herrschte schon so lange Frieden, wir waren keinen Krieg mehr gewohnt.
    Alle schauten zum Tempel. Der Klang hallte über den langen Weg bis zum Baum des Lebens und zu allen Zuschauern auf dem großen Platz. Das Gerede wurde eingestellt und ich spürte, wie sich eine Hand auf meinen Arm legte. Ich drehte mich um und blickte in die hellbraunen Augen meiner Mutter, die mich ermahnten, meine Position einzunehmen. Trotzdem zog sie mich schnell zu sich, umarmte mich vorsichtig und ich hörte, dass sie schwer atmete. Sie kniff mir noch mal in die Wangen und sagte erneut, dass ich höflich sein solle. Ich verdrehte im Gehen die Augen. Die Jungfern räumten ihren Platz am Baum und verschwanden im Tempel, sodass sich die Königsmädchen dort einfinden konnten.
    Eine nach der anderen stellten wir uns nun mit dem Rücken zum Baum und mit Blick über das Plateau auf. Die Menge vor uns begann leise zu tuscheln. Vorsichtig beugte ich mich vor und schaute mir die anderen Mädchen genauer an. Leider kannte ich nicht alle von ihnen. Neben mir stand Hanna, die nervös auf und ab wippte. Von dem langen Weg hinter dem Tempel bis zum großen Platz vor uns bildete sich nun eine Gasse in der Menge. Das schwere Tor öffnete sich langsam und die Krieger kamen einer nach dem anderen heraus. Als mein Vater erschien, musste ich lächeln. Die Gruppe schritt an den Menschenmassen vorbei und wurde zurückhaltend beklatscht. Es war wie jedes Mal ein imposanter Auftritt, wenn die Kämpfer ihre Rüstungen trugen. Im Gleichmarsch kamen sie die Stufen herunter und setzten dann ihren Weg fort, angeführt von meinem Vater. Weil der Weg sehr lang war, dauerte es, bis sie uns erreichten. Sie verneigten sich vor uns und ein paar der Mädchen taten es ihnen gleich, weil sie es so gewohnt waren und nicht wussten, wie man sich korrekt verhielt. Denn gestern noch standen die Krieger in der Rangfolge über uns. Heute jedoch gehörten wir zu den Königsmädchen und solange das so war, standen wir über den Kriegern – sie hatten sich also vor uns zu verneigen. Aber das alles würden die Jungfern die Königsmädchen in den kommenden Wochen im Tempel noch lehren. Sofern sie auserwählt wurden. Da ich bereits wusste, wie man sich benahm, und schon auf dem Plateau wohnte, brauchte man mir kein Zimmer im Tempel einzuräumen. Ich würde also nicht unter der ständigen Aufsicht der Jungfern stehen, was ich als Segen empfand. Hanna jedoch lebte im Dorf und würde für die Zeit der Wahl in den Tempel ziehen. Man wollte es den Mädchen nicht zumuten, jeden Tag den langen Weg bis hoch zum Plateau zu bestreiten.
    Meine beste Freundin wurde jetzt immer nervöser und richtete ihr Kleid andauernd neu. Erst zog sie es gerade, dann ließ sie es wieder locker fallen und allmählich bildeten sich Schweißperlen auf ihrer Stirn.
    Die Krieger waren nun
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