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Das Koenigreich des Sommers

Das Koenigreich des Sommers

Titel: Das Koenigreich des Sommers
Autoren: Gillian Bradshaw
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Tunika aufzuknöpfen. Meine Mutter preßte mißbilligend die Lippen fest zusammen und stellte Wasser aufs Feuer.
    Es war eine Wunde, die schmerzhaft aussah. Ein Riß quer über die Rippen, auf der rechten Seite. Gawain zog seine Untertunika vorsichtig darüber weg und legte das Kleidungsstück auf sein Kettenhemd. Sein Oberkörper war schon jetzt kreuz und quer mit alten Narben bedeckt, viel mehr Narben, als ich mir wünschte. Die meisten waren auf der rechten Seite seines Körpers. Meine Mutter schüttelte den Kopf, nahm ein sauberes Tuch und begann, den Schnitt zu reinigen. Sie hielt einen Moment inne, und Gawain setzte sich am Feuer nieder. Er war mager, und er zitterte ein bißchen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war schrecklich: Erschöpfung und Beschämung und fast Verzweiflung.
    »Warum hast du versucht, das zu verstecken?« wollte mein Vater wütend wissen. »Damit kannst du doch nicht auf Reisen gehen. Du wirst hierbleiben müssen.«
    Gawain zuckte die Achseln, verzog bei der Bewegung schmerzhaft das Gesicht. »Ich bin ja schon damit gereist. Den größten Teil des heutigen Tages. Ich. na, die meisten. Bauern. würden einen Mann aus Artus’ Familie umbringen, wenn sie das für sicher hielten. Ach, fast jeder auf dieser Seite von Britannien haßt den Hohen König.«
    Das Gesicht meines Vaters wurde wieder dunkel vor Zorn. »Ich würde einen Gast nicht umbringen, selbst wenn er mein schlimmster Feind wäre. Selbst wenn er gesund und stark und bereit wäre, mir was anzutun. Ich bin nicht der Mann, einen umzubringen, den ich als Freund kennengelernt habe, gleichgültig, wer sein Herr ist. Und außerdem unterstütze ich den Kaiser.«
    Gawain blickte fest zu ihm auf. Dann, ganz langsam, lächelte er. »Verzeih mir. Ich habe nicht nachgedacht, und ich habe mir auch keine Zeit genommen, dich anzuschauen. Du würdest es wirklich nicht tun.« Er holte tief, schluchzend Atem. »Es ist lange, lange her.«
    »Seit wir uns kennengelernt haben?«
    »Ich war damals noch nicht einmal Krieger. Man vergißt, wie die Menschen sich benehmen. O, Sion, ich bin müde.«
    »Dann bleib hier, bis du wieder ausgeruht bist.«
    »Ich zahle dir was dafür.«
    »Süßer Jesus, hab Erbarmen! Wenn der Tag kommt, daß einer meiner Gäste mich bezahlt, dann will ich meine Felder mit Salz besäen, so wahr mir Gott helfe. Alle Heiligen und Engel sollen meine Zeugen sein.«
    Gawain lächelte wieder, und ein Licht schien in seinen dunklen Augen zu glühen. »Ich hatte vergessen, daß es solche Menschen gibt«, sagte er sehr leise, mehr zu sich selbst als zu uns. »Und ich verdiene es nicht. Gott ist wirklich gnädig.«
    Ich saß da und schaute ihn an, während er mit gekreuzten Beinen im roten Feuerlicht saß, und meine Mutter verband die Wunde. Er war nicht das, was ich bei einem so ruhmreichen Krieger erwartet hätte. Als ich hinschaute, wurde mir klar, daß er nicht viel älter sein konnte als ich. Sein Gesicht war unter dem Schmutz und dem verfilzten Haar noch immer jung und sehr gutaussehend. Aber es war schon von Schmerz und Enttäuschung gezeichnet. Bis jetzt hatte er soviel älter, so mißtrauisch und so beherrscht ausgesehen. Ich betrachtete meine Familie, den eng geschlossenen Kreis im Halblicht und im warmen Schatten. Ja, hier war es gut. Ich konnte es mir leisten, jung zu sein. Ich hatte eine Heimat, ein schönes Zuhause, einen Ort, der meiner Liebe wert war.
    Dennoch, irgend etwas in meinem Herzen bewegte sich wie ein Spatz, der sich in der Scheune gefangen hat und in den Dachbalken herumflattert und nach dem klaren Himmel und dem Wind sucht.

2
    Der Herr Gawain schlief sehr lange am nächsten Morgen. Als er aufwachte, nahm er ein Bad, wusch und stutzte sich Haar und Bart, zog ein paar von meinen Sachen an und ging hinaus, um nach seinem Pferd zu sehen. Meine Hosen und meine Tunika hingen locker an ihm, und sie waren auch ein bißchen zu lang. Aber meine Mutter hatte seine eigenen Kleidungsstücke mit Beschlag belegt und arbeitete daran. Sie schüttelte immer wieder den Kopf über ihren schlechten Zustand, während sie nähte.
    Der weiße Hengst stand gut untergebracht in unserer Scheune, verzehrte unser Korn und ignorierte all die anderen Tiere, die dort waren, außer unserer braunen Stute. Gawain stritt sich mit meinem Vater wegen des Korns.
    »Die Kosten des Korns muß ich tragen, Sion. Schlachtrösser sind teuer in der Haltung. Sie sind ein Luxus für ihren Besitzer. Kein Gastgeber ist verpflichtet, seine Gäste mit Luxusgütern
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