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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer
Autoren: Rainer M Schroeder
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Aberglaube war. Dennoch fiel es ihm schwer, sich von diesen beklemmenden Gedanken völlig freizumachen.
    Dann und wann lichtete sich der Wald jedoch für eine kurze Strecke, und vor ihnen blitzten im fahlen Mondlicht Schachten auf, von Menschenhand geschaffene Weideflächen. Diese freien, hellen Flecken, teilweise mit Granitblöcken durchsetzt, nahmen sich in dem finsteren Waldmeer mit ihrem jungen Frühlingswuchs wie hellgrüne Inseln aus. Hier ging Sebastians Atem ein wenig freier.
    Auf diese hoch gelegenen Schachten trieb man an Sankt Georgi, der am 23. April gefeiert wurde, vor allem Jungtiere zum Grasen hinauf, wo sie unter der Obhut eines Waldhirten bis zu Sankt Michaeli am 29. September verblieben. Jedes der Tiere trug eine aus Blech gefertigte Schelle um den Hals, damit man es wiederfand, wenn es sich im Wald verlief. Der Hirte, der in diesen langen Monaten allein in einer primitiven Hütte lebte und nur alle paar Wochen mit dem Allernotwendigsten zum Leben versorgt wurde, erkannte jedes Tier am Klang ihrer Schellen, die sich in Größe und Blechstärke voneinander unterschieden.
    An zwei dieser einsam gelegenen, niedrigen Hütten führte sie der Weg durch die Bergzüge des Bayerischen Waldes an der Grenze zum Böhmerwald vorbei. Noch hauste dort keiner, denn bis zum Viehtrieb auf die Schachten war es noch eine gute Woche hin. Der Anblick der primitiven Behausungen hatte dennoch etwas Beruhigendes für Sebastian, sagten sie ihm doch, dass sie kein von Menschen unberührtes Geisterland durchquerten.
    Indessen zogen sich am Nachthimmel immer mehr dunkle
Wolken zusammen und ließen kaum noch Mondlicht durch. Aus der Ferne rollte schon bald unheilvolles Grollen heran. Ein Unwetter zog herauf. Und dann fielen auch schon die ersten Regentropfen aus der klammen Schwärze der Nacht.
    Sebastian dachte flüchtig an den Köhler zurück, dem sie hinter dem Weiler Kreutersroth am Rande einer Waldlichtung begegnet waren und der ihnen reglos und ohne Gruß nachgeblickt hatte, als sie im Galopp an seiner schäbigen, mit Baumrinde gedeckten Kate vorbeigeritten und am Ende der Lichtung wieder im Wald untergetaucht waren.
    Würde der Kohlenbrenner sie verraten, wenn die Männer des Domherrn aller Hoffnung zum Trotz auch in dieser Richtung nach ihnen suchten und in Kreutersroth ihre Spur fanden? Sebastian betete stumm zu Gott, dass ihre Verfolger nicht Elmars Plan durchschauten und stattdessen im Süden oder Westen nach ihnen suchten. Und dann drängten sich auch schon wieder die quälenden Fragen in seine Gedanken, wer seine wirklichen Eltern waren und warum ein mächtiger Domherr wie dieser Tassilo von Wittgenstein es auf ihn abgesehen hatte. Was hatte es zu bedeuten, dass sein Vater verloren war, wenn er, Sebastian, dem Leiter der Domschule in die Hände fiel? All das machte nur Sinn, wenn sein leiblicher Vater noch lebte! Wer aber war sein Vater? Welchen Namen trug er? Wo hielt er sich auf? Was machte ihn zum Feind des Domherrn und veranlasste diesen, von Ketzerei zu sprechen? Und welche Rolle spielte er, Sebastian, in diesem Rätsel, bei dem es um Leben und Tod ging? Und was sollten sie in Wittenberg? Was hatte Gisa von Berbeck mit einem Druckherrn aus der Hochburg der Neugläubigen zu schaffen? Und wieso würden sie ausgerechnet dort sicher sein? Wie hing das alles miteinander zusammen?
    Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Und
Elmar war nicht geneigt, schon jetzt darüber zu sprechen. Als er ihn zum wiederholten Mal bedrängte, rief er ihm schroff zu, dass er seinen kostbaren Atem und seine Aufmerksamkeit gerade einer viel wichtigeren Sache widmen müsse, nämlich der Rettung ihres Lebens.
    Sebastian schreckte aus dem wilden Strudel seines Gegrübels auf, als ein Blitz aus den Wolken zuckte, begleitet von einem ohrenbetäubenden Krachen, und Elmars Pferd erschrocken scheute. Es galoppierte an, kam dabei vom Pfad ab und geriet im nächsten Moment mit dem rechten Vorderhuf in eine tiefe, moosige Spalte. Jäh und mit einem schrillen, schmerzerfüllten Wiehern knickte es vorn ein, stürzte mit brechendem Knöchel zur Seite und warf dabei seinen Reiter aus dem Sattel.
    Elmar wurde zwischen zwei niedrige, dafür aber scharfkantige Granitblöcke geschleudert. Ein gellender Schrei, der Sebastian durch Mark und Bein ging, drang ihm aus der Kehle. Er versuchte sich aufzurichten, fiel jedoch wieder zurück.
    »Mein Arm!«, stöhnte der Verwalter gepresst und fasste sich an den linken Unterarm, dessen untere Hälfte
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