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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken
Autoren: Berte Bratt
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wartet immer auf euch!“
    In dem Sinne war auch der Brief geschrieben, der nach wenigen Tagen als Antwort auf Inges Mitteilung eintrudelte. Da war auch ein Extrazettelchen für Ingrid drin:
     
    Liebe Ingrid!
    Prima, daß Du kommst! Ich kann jetzt etwas mehr Deutsch, und Merete brennt darauf, Dir unsere neuen Kätzchen zu zeigen. Unsere Muschi hat schon wieder einen Wurf. Papa und ich holen Euch vom Bahnhof ab! Viele herzliche Grüße von
     
    Lise
     
     
    Dann kam der Tag, an dem die beiden Ingrids sich wieder gegenüber im Zug saßen. Diesmal in der ersten Klasse! Es war Jan, der mit der Handbewegung und der Kraft eines trainierten Skatspielers zwei Karten erster Klasse auf den Tisch gepfeffert hatte. „Mein Kind soll bequem reisen!“ war seine energische Erklärung.
    Ja, sie hatten es bequem. Vorläufig waren sie allein im Abteil, und konnten sich „breitmachen“, wie Inge sagte. Inge holte eine Strickarbeit aus ihrer Tasche – ein eben angefangenes Strampelhöschen.
    „In Kopenhagen werde ich mehr Strickwolle kaufen“, sagte sie. „Die dänische Wolle ist sehr schön!“
    Ingrid nickte. In dem kleinen Geschäft Mortensen & Co, in der Nähe von Tante Agates Wohnung, hatte sie selbst ein großes Regal voll bunter Wolle gesehen. Ja, dorthin wollte sie gehen. Da hatte sie damals ihr buntes Kleid gekauft. Frau Mortensen verstand Deutsch.
    Ingrid wollte ja auch Babysachen stricken!
    Sie holte sich nun ein Buch heraus. Und während die beiden sich mit Stricken und Lesen beschäftigten, brachte der Zug sie immer weiter gen Norden.

Tante Agate
     
     
    Es war ein neues und seltsames Gefühl für Ingrid, sozusagen als „freier Mensch“ durch die wohlbekannten Straßen zu gehen. Hier in der Gegend, wo sie in hilflosem Dänisch ihre Einkäufe gemacht hatte, immer mit der Angst, Tante Agate würde schimpfen, weil sie zuviel Geld verbraucht hatte. Hier, wo sie die billigsten Sachen aussuchte, kleine Mengen kaufte und rechnen und zählen mußte. Hier, wo sie sich immer hatte beeilen müssen, weil Arbeit auf sie wartete, Arbeit in der dunklen, kalten Küche…
    Wie anders war es jetzt! Sie hatte keine Sorgen, sie war gut angezogen, sie hatte Geld in der Tasche, Geld, das ihr selbst gehörte. Trotz aller guten Sparvorsätze hatte sie hundert Mark von ihrem Gehalt umgewechselt. Du liebe Zeit, was bekam sie doch für eine Menge dänische Kronen dafür!
    Sie fand das Geschäft und sie fand die Wolle, die sie suchte, feine, weiche Babywolle. Und die Inhaberin erkannte sie.
    „Sie waren doch damals bei Frau Jespersen?“ fragte sie, während sie die Wolle einpackte. Ingrid nickte.
    „Und was machen Sie denn jetzt, während Frau Jespersen im Krankenhaus ist?“
    „Im Krankenhaus? Das ahnte ich nicht. Ich bin nur zu Besuch in Kopenhagen. Ich fahre in wenigen Tagen zurück nach Deutschland.“
    „Ach, wußten Sie das nicht? Ein Kunde hatte sie ohnmächtig im Laden gefunden, er hat einen Arzt gerufen, und sie kam dann insStädtische Krankenhaus. Es war – ja, vorigen Mittwoch wird es gewesen sein. Ich habe ja den Krankenwagen vor dem Haus gesehen, er fuhr mit Blaulicht davon.“
    „Ich hatte keine Ahnung“, wiederholte Ingrid. „Ich glaube – ja, ich werde sie besuchen.“
    „Das ist aber nett von Ihnen. Sehr nett, nachdem Sie es so schwer bei ihr hatten!“
    Ingrid antwortete nicht, aber sie wunderte sich darüber, wieviel Nachbarn oft wissen. Wie konnte nur diese Frau ahnen, daß Ingrid es so schwer gehabt hatte? Sie hatte sich doch nie beklagt, hatte nie mit den Nachbarn gesprochen außer „guten Tag“ oder „wie ist es doch heut kalt“ oder „heut gibt es Rindfleisch im Sonderangebot beim Schlachter“.
    Aber Tante Agate hatte dreißig Jahre hier gewohnt, dann hatten wohl die Nachbarn so allmählich ihren Geiz kennengelernt.
    „Ich kenne die Besuchszeiten im Krankenhaus“, sagte Frau Mortensen. „Ich habe sie mir aufgeschrieben, als meine Schwester da lag. Moment mal, ich schreibe sie Ihnen schnell auf! Sollten Sie wieder in diese Gegend kommen, dann erzählen Sie mir, wie es Frau Jespersen geht – ja, und grüßen Sie sie und wünschen ihr gute Besserung!“
    Ingrid wunderte sich noch, als sie wieder auf der Straße stand. Erstens, daß Frau Mortensen sie wiedererkannt hatte, dabei hatte sie doch so wenig bei ihr gekauft – ein billiges Kleid im Ausverkauf, sonst nur ein paar Wäscheknöpfe, etwas Nähgarn, ein- oder zweimal eine Strumpfhose.
    Zweitens wunderte sie sich darüber, wie die Menschen sich
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