Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
unausgesprochenen. Und außerdem hätte ich ohnehin nicht weit laufen können, nicht mit meinem Fuß.
    Ich verstand, dass für die von unserer Art nur das Handwerk zählte. Aber Darragh war uneingeladen in mein Leben gekommen, und nachdem er erst einmal da war, wurde er mein Sommergefährte und mein bester Freund – mein einziger Freund, um ehrlich zu sein. Ich hatte Angst vor den anderen Kindern und konnte mir kaum vorstellen, mich ihren lebhaften Spielen anzuschließen, und sie wiederum gingen mir aus dem Weg. Vielleicht war es Angst, vielleicht etwas anderes. Ich wusste, dass ich schlauer war als sie. Ich wusste, dass ich mit ihnen machen konnte, was ich wollte, falls ich das denn wollte. Und dennoch, wenn ich mein Spiegelbild im Wasser ansah und an die Jungen und Mädchen dachte, die ich gesehen hatte, wie sie schreiend über den Sand liefen oder angelnd auf den Felsen saßen oder mit ihren Vätern und Müttern Netze flickten, dann wünschte ich mir aus ganzem Herzen, eins dieser Kinder zu sein und nicht ich selbst. Ich wünschte, ich wäre eines der Mädchen vom fahrenden Volk, mit einem roten Halstuch und einem Schultertuch mit langen Fransen, so dass ich oben auf dem Wagen sitzen und im Herbst davonreiten konnte, in das weit entfernte Land im Norden.
    Wir hatten einen Platz, eine geheime Stelle auf halbem Weg hügelabwärts hinter großen Felsen, von der aus man nach Südwesten schauen konnte. Unter uns ragte das steile, felsige Kap der Honigwabe ins Meer. Innerhalb der Honigwabe befand sich ein kompliziertes Netz aus Höhlen und Kammern und verborgenen Wegen, ein angemessenes Zuhause für einen Mann wie meinen Vater. Hinter uns erstreckte sich der Hügel, auf dessen Kuppe der Steinkreis stand, und von dort aus zog sich das Land wieder abwärts bis zum Weg. Dahinter lag Kerry, und noch weiter entfernt gab es Orte, deren Namen ich nicht kannte. Aber Darragh kannte sie, und Darragh erzählte mir von ihnen, während er Treibholz ordentlich für ein Feuer aufschichtete und Feuerstein und Zündspäne herausholte und ich einen kleinen Beutel mit getrockneten Kräutern für unseren Tee bereitlegte. Er erzählte mir von Seen und Wäldern, von steilen, zerklüfteten Schluchten und sanften, nebligen Tälern. Er beschrieb, dass die Nordmänner, deren Überfälle an der Küste so gefürchtet waren, sich dort niedergelassen und irische Frauen geheiratet hatten und mit ihnen Kinder bekamen, die weder das eine noch das andere waren. Und mit aufgeregt blitzenden Augen berichtete er von dem großen Pferdemarkt im Norden. Er versank vollkommen in seinen Worten und den Gesten seiner mageren Hände, und seine Stimme wurde vor Begeisterung immer lauter, so dass er ganz vergaß, dass er eigentlich das kleine Feuer hatte entzünden wollen. Also tat ich es selbst, zeigte auf das Holz und beschwor eine Flamme herauf. Das Treibholz fing sofort an zu brennen, und unser kleiner Topf mit Wasser wurde rasch wärmer. Darragh schwieg plötzlich.
    »Erzähl weiter«, sagte ich. »Hat der alte Mann das Pony nun gekauft oder nicht?«
    Aber Darragh hatte die dunklen Brauen missbilligend zusammengezogen. »Das solltest du lieber nicht tun«, sagte er.
    »Was?«
    »Das Feuer auf diese Weise anzünden. Mit Zauberei. Nicht, wenn du es nicht unbedingt musst. Was hast du gegen Feuerstein und Zündspäne? Ich hätte es schon erledigt.«
    »Warum denn? Ich kann es schneller.« Ich warf eine Hand voll getrockneter Kräuter in den Topf. Der Duft stieg in die kühle Luft auf.
    »Nein, du solltest es nicht tun. Nicht, wenn es nicht notwendig ist.« Er konnte es nicht weiter erklären, aber sein Wortschwall war abrupt abgebrochen, und wir kochten unseren Tee und tranken ihn schweigend, während die Meeresvögel über uns kreisten und schrien.
    Die Sommer waren voll solcher Tage. Wenn Darragh nicht mit den Pferden arbeiten oder im Lager helfen musste, suchte er nach mir, und zusammen erforschten wir die felsigen Hügel, die Pfade an der Küste, die verborgenen Buchten und geheimen Höhlen. Er brachte mir bei, wie man mit einer ruhigen Hand und einer einzelnen Schnur angelt. Ich lehrte ihn, aus den Schatten, die sich auf der Hügelkuppe bewegten, zu erkennen, was für ein Tag es war. Wenn es regnete – und das geschah natürlich auch im Sommer –, saßen wir im Schutz einer kleinen Höhle drunten am Fuß der Landbrücke, die die Honigwabe mit der Küste verband, einem Ort, der sich beinahe unter der Erde befand, aber nicht ganz, denn das Tageslicht fiel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher