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Das Kind, das deinen Namen traegt

Das Kind, das deinen Namen traegt

Titel: Das Kind, das deinen Namen traegt
Autoren: Michelle Reid
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persönlichen Probleme eine Zeitlang vergessen lassen.
    Doch die Blässe schien noch immer nicht aus ihrem zarten Gesicht gewichen zu sein, denn als Michael aus seinem Büro kam, blieb er vor ihrem Schreibtisch stehen. Erst jetzt, da der hektische Tag zu Ende ging, schien er sie richtig wahrzunehmen.
    "Claudia, bist du okay?" Er stützte die Hände auf den Tisch und beugte sich vor, um ihr Gesicht genauer betrachten zu können.
    "Mir geht es gut", schwindelte sie, hob den Kopf und rang sich ein Lächeln ab, um Michael von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen. "Heute war ein anstrengender Tag, weiter nichts. Ich bin froh, wenn ich nach Hause komme und die Beine hochlegen kann."
    Michael runzelte die Stirn und sah Claudia mit seinen blauen Augen liebevoll an. Sie verspürte einen Stich im Herzen, denn sie liebte ihn, und ganz besonders seiner warmherzigen Seite konnte sie nicht widerstehen.
    "Wunderschöne Claudia", sagte er leise und strich ihr über die Wange. "Wundervolle Claudia, ich glaube, ich ..." Er sprach nicht weiter und zog die Hand zurück, einen merkwürdigen, fast schon schockierten Ausdruck auf dem Gesicht.
    Plötzlich lag eine seltsame Spannung in der Luft, und Claudia fühlte sich verwirrt. Was hatte er gerade sagen wollen, und warum war er so plötzlich verstummt? Panik kam in ihr auf.
    Er wusste doch nichts, oder? Hatte er es vielleicht gemerkt? Nein, natürlich nicht.
    Claudia war nicht selbstbewusst genug, um zu ahnen, was Michael wirklich sah, während er sie betrachtete. Sie sah tatsächlich aus wie eine "schöne, exotische Zigeunerin", wie er sie oft zärtlich nannte. Das lange blauschwarze Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern, und Michael mochte es, wenn sie es offen trug. Doch bei der Arbeit hatte sie es stets hochgesteckt, was ihr ebenmäßiges Gesicht und ihre zarte, helle Haut noch betonte. Die leicht schräggestellten ausdrucksvollen dunkelblauen Augen verliehen ihr etwas Zigeunerhaftes.
    Ihre Nase war klein und gerade, die Lippen voll und sinnlich. Sie war groß und schlank und hatte doch üppige Rundungen an den richtigen Stellen. Ohne es zu wissen, verdrehte sie Männern den Kopf - allein durch ihr Aussehen. Auch Michael. Und das ärgerte ihn, weil sie damit einen Schwachpunkt bei ihm traf.
    "Bist du bald fertig?" fragte er und sah auf die Uhr. Offensichtlich hatte er es eilig.
    "Nur noch zehn Minuten", antwortete Claudia. Sie wusste, dass Michael es nicht gern sah, wenn sie länger als er arbeitete. Er war ein gewissenhafter Chef und hielt es für unfair, seine Mitarbeiter länger zu beschäftigen als sich selbst. Claudia fiel plötzlich das Geschäftsessen wieder ein, und um Michael zum Gehen zu bewegen, sagte sie: "Einen schönen Abend wünsche ich dir."
    "Ich hole dich morgen abend ab", erwiderte Michael zö gernd. Er schien unschlüssig, ob er nun gehen sollte oder nicht. Morgen war Samstag, und Claudia hatte Theaterkarten bestellt.
    "Wir könnten später noch ausgehen, wenn du möchtest, zu Abend essen, vielleicht noch ein bisschen tanzen?"
    Was war nur los mit ihm? Sein ungewöhnliches zögerndes Verhalten irritierte sie.
    "Bist du sicher, dass es dir gutgeht?" fragte Michael noch einmal.
    Er ist wohl auch verwirrt, dachte sie, denn sonst stellt er nie die gleiche Frage zweimal.
    Vielleicht sieht er mir an, dass etwas nicht stimmt, und geht unbewusst darauf ein.
    Claudia wurde immer unruhiger. "Was soll schon mit mir los sein, Michael? Hast du vielleicht ein schlechtes Gewissen?" Noch nie hatten sie im Büro ein solches Gespräch geführt.
    Michael war das Ganze merklich una ngenehm. "Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, ich sei grausam zu dir", entgegnete er verärgert, drehte sich um und ging auf die Tür zu.
    Claudia senkte traurig den Blick. "Manchmal bist du das auch, und das weißt du so gut wie ich."
    Sie setzte sich wieder an die Schreibmaschine und fing wütend an zu tippen. Michael stand an der offenen Tür und betrachtete sie. Er wollte etwas sagen, sich rechtfertigen. Ihr unerwarteter Vorwurf hatte ihn geärgert und verblüfft. Da so etwas äußerst selten geschah, wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte. Die gespannte Atmosphäre wurde langsam unerträglich. Michael sah nochmals ungeduldig auf die Uhr, dann wieder zu Claudia, die, den Kopf gesenkt, an ihrem Platz saß. Schließlich seufzte er und verließ wortlos das Zimmer.
    Im Büro herrschte absolute Stille. Volle fünf Minuten saß Claudia nur da und blickte geistesabwesend an
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