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Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Titel: Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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Vater mich ins Kloster schickte und warum er ausgerechnet einen Orden mit strenger Klausur für mich wählte?«, fragte sie scheinbar zusammenhanglos.
    Isaura schüttelte den Kopf. »Nein, das letzte Mal wollten Sie nicht darüber sprechen.«
    Maria Anna nickte. »Ja, das ist kein Thema, über das ich mit anderen rede, doch heute muss ich es Ihnen erzählen, damit Sie anfangen zu verstehen, was mit Ihnen vor sich geht.«
    Sie kehrte in das Hauptschiff zurück und ließ sich am Rand einer der Kirchenbänke nieder. Isaura setzte sich neben sie.
    »Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Ihr Körper zwar so funktioniert wie der aller anderen, nicht aber Ihr Geist? Oder anders gefragt: dass Sie über Kräfte verfügen, die all die anderen nicht haben?«
    Isaura holte tief Luft und wusste nicht, was sie sagen sollte, doch Schwester Maria Anna schien keine Antwort zu erwarten. Sie sah nachdenklich in die Ferne, wo sie etwas erkennen konnte, das kein anderer sah.
    »Ich war noch recht jung. Sechs oder sieben Jahre. Zuerst hielten mich meine Eltern nur für sehr ungestüm und schusselig, und ich glaubte ihnen. Zwar habe ich zwei Geschwister, aber meist gingen in meiner Nähe Dinge kaputt, fielen herunter oder zerbarsten in tausend Scherben.« Sie lächelte Isaura wehmütig an. »Das hat mir viel Ärger eingebracht und so manche Tracht Prügel.«
    Obwohl sie sich gegen die Worte der Nonne innerlich wehrte, wanderten ihre Gedanken zu den vielen Gläsern und Tassen, die sie schon in ihrem Leben gekauft hatte, weil wieder etwas zerbrochen war. Justus hatte manches Mal gescherzt, bei so vielen Scherben in ihrem Haushalt müssten sie vom Glück geradezu verfolgt sein. Doch manches Mal war er auch ärgerlich geworden. Seine schönen Weingläser! Wie konnte man nur so tollpatschig sein? Und wenn Isaura beteuerte, sie sei nicht einmal in der Nähe der Gläser gewesen, sah er sie mit diesem überheblichen Blick an:
    »Ach, und kannst du mir dann erklären, wie sie herunterfallen konnten?« Nein, das konnte sie nicht. »Ein plötzliches Erdbeben in München, das nur unser Wohnzimmer betraf?« Isaura schwieg und verdrängte. Wieder und wieder.
    Maria Anna sprach weiter. »Es hat bei mir nicht allzu lange gedauert, bis ich verstand. Ja, ich zerstörte all diese Sachen, aber nicht, weil ich zu unachtsam war oder sie aus Wut he runterwarf, wie man mir unterstellte. Wobei meine Wut durchaus etwas damit zu tun hatte. Große Emotionen, muss man genauer sagen, wirken auf die Umwelt.«
    »Wie sollte das möglich sein?«, hauchte Isaura.
    Maria Anna hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Niemand kann das sagen, denn nach der Lehre unserer Wissenschaften dürfte es dieses Phänomen nicht geben. Dieses nicht und viele andere, die ich erst später entdeckte. Nun, jedenfalls kam dies – zusammen mit anderen Dingen, die man sich nicht so leicht erklären kann – meinen Eltern irgendwann so seltsam vor, dass sie es nicht länger übersehen konnten.« Sie hielt kurz inne, und Isaura spürte eine Welle von Schmerz, die sie schaudern ließ.
    »Habe ich Ihnen schon gesagt, dass mein Vater ein sehr guter Katholik ist?« Die Betonung machte deutlich, was sie davon hielt. »Er ließ also einen Priester kommen, der sich mit dem seltsamen Kind befassen sollte, und bald stand die Diagnose: Ich sei vom Teufel oder einem seiner Dämonen besessen, und man könne mich nur auf eine Art retten!«
    Isaura begann zu ahnen, was nun kommen würde. »Ein Exorzismus?«
    Maria Anna nickte. »Ja, und ich sage Ihnen, das war kein Spaß.«
    »Das ist ja wie im finstersten Mittelalter!« Isaura konnte es nicht fassen.
    »Schlimmer«, sagte Maria Anna düster. »Damals hat man die Kräfte der Erde und ihre Magie noch akzeptiert – auch wenn es später Zeiten gab, in denen Männer und Frauen mit dieser Gabe hart verfolgt wurden. Und nicht nur sie! Es war ein Flächenbrand der Intoleranz.«
    »Sprechen Sie von der Hexenverfolgung?« Isaura kam das Wort kaum über die Lippen.
    »Aber ja.« Mehr sagte sie nicht. Sie sah Isaura nur aufmerksam an, die nicht mehr verhindern konnte, dass die Worte und deren Bedeutung in ihrem Geist Fuß fassten.
    »Was geschah dann?«, fragte sie mit belegter Stimme.
    »Oh, die Dämonen ließen sich nicht austreiben, doch ich lernte meine Kräfte besser zu beherrschen und sie vor der Welt zu verbergen. Doch mein Vater blieb misstrauisch. Das Ende vom Lied kennen Sie. Er brachte mich bei den Klarissen in Brixen unter, wo er hoffte, die lebende
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