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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis
Autoren: Jostein Gaarder
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betrachtete mich milde.
    »Ich heiße Ludwig«, sagte ich.
    »Und ich bin Albert Klages«, antwortete er.
    Er ging in die Hütte, kam aber bald mit Milch und Brot, Käse und Honig wieder zum Vorschein.
    Er zeigte auf das kleine Dorf, erzählte, daß es »Dorf« heiße und daß er dort unten eine kleine Bäckerei besitze.
     
    Ich wohnte einige Wochen lang bei dem Alten. Bald half ich ihm in der Bäckerei. Albert brachte mir bei, Brot und Brötchen, Brezeln und jede Art von Kuchen zu backen. Ich hatte immer schon gewußt, daß die Schweizer Meister im Kuchenbacken sind.
    Albert freute sich besonders über meine Hilfe beim Tragen der schweren Mehlsäcke. Ich war aber auch ein junger Mann, der Kontakt zu den anderen Leuten im Dorf suchte. Manchmal besuchte ich das alte Wirtshaus »Zum Schönen Waldemar«. Ich glaube, die Leute im Dorf mochten mich. Sie hatten wohl begriffen, daß ich ein deutscher Soldat war, aber niemand fragte nach meiner Vergangenheit.
    Eines Abends kam die Rede auf Albert, der mich so freundlich aufgenommen hatte.
    »Bei dem ist eine Schraube locker«, sagte der Bauer Fritz André.
    »Aber das war beim letzten Bäcker auch nicht anders«, fügte der alte Kaufmann Heinrich Albrechts hinzu.
    Als ich mich ins Gespräch einmischte und fragte, wie sie das denn meinten, antworteten sie zuerst ausweichend. Ich hatte einige Karaffen Wein getrunken und merkte, daß meine Wangen glühten.
    »Wenn ihr mir schon keine Antwort geben wollt, dann nehmt wenigstens euren boshaften Klatsch über den zurück, der das Brot bäckt, das ihr eßt!« sagte ich.
    Mehr wurde an diesem Abend nicht über Albert gesagt. Aber einige Wochen später ergriff Fritz abermals das Wort.
    »Weißt du, woher er seine vielen Goldfische nimmt?« fragte er.
    Ich hatte schon gemerkt, wie sehr es sie beschäftigte, daß ich bei dem alten Bäcker wohnte.
    »Ich wußte nicht, daß er mehr als einen hat«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Und den hat er sicher in einer Tierhandlung gekauft, in Zürich vielleicht.«
    Worauf der Bauer und der Kaufmann loslachten.
    »Er hat noch sehr viel mehr«, sagte der Bauer. »Als mein Vater einmal von der Jagd zurückkam, lüftete Albert gerade seine Goldfische aus. Er hatte sie allesamt in die Sonne gesetzt, und sie waren wahrlich nicht wenige, das kannst du dir hinter die Ohren schreiben, Bäckerjunge!«
    »Er hat außerdem noch nie einen Fuß aus Dorf hinausgesetzt«, schaltete sich der Kaufmann ein. »Wir sind genau gleich alt, und soviel ich weiß, hat er Dorf noch nie verlassen.«
    »Manche halten ihn für einen Zauberer«, flüsterte der Bauer. »Manche behaupten, er backe nicht nur Kuchen und Brot, sondern mache auch alle diese Fische selber. Eins steht jedenfalls fest: Im Waldemarsee hat er sie nicht gefangen.«
    Auch ich fragte mich bald, ob Albert vielleicht wirklich ein großes Geheimnis hütete. Ein paar seiner Sätze gingen mir immer wieder durch den Kopf: »Du bist nach Hause gekommen, lieber Sohn. Ich wußte, daß du eines Tages an meine Tür kommen würdest. Um den Schatz zu holen, mein Junge.«
    Ich wollte den alten Bäcker ungern verletzen, indem ich ihm vom Gerede im Dorf erzählte. Wenn er wirklich ein Geheimnis hütete, dann war ich sicher, daß er mir davon erzählen würde, wenn die Zeit reif wäre.
     
    Ich glaubte lange, es werde soviel über den alten Bäcker geredet, weil er ganz allein außerhalb des Dorfes wohnte. Aber auch etwas an seinem alten Haus gab mir zu denken: Wenn ich es betrat, stand ich gleich in einem größeren Wohnzimmer mit einer Kochnische und einem Kamin. Zwei Türen führten aus diesem Wohnzimmer: eine zu Alberts Schlafzimmer, die andere zu einer kleinen Kammer, die ich bewohnen durfte, seit ich nach Dorf gekommen war. Die Zimmer waren ziemlich niedrig, und wenn ich das Haus von draußen betrachtete, sah ich, daß es einen großen Dachboden haben mußte. Vom Hang hinter dem Haus aus sah ich außerdem eine kleine gläserne Luke im Schieferdach. Das Seltsame war, daß Albert den Dachboden nie erwähnte. Er suchte ihn auch nie auf. Das vor allem war der Grund, weshalb ich immer an diesen Dachboden denken mußte, wenn meine Wirtshausfreunde über Albert redeten.
    Und dann kam ich eines Abends später als sonst aus Dorf nach Hause und hörte den Alten auf dem Dachboden herumgehen. Das fand ich so erstaunlich – und vielleicht auch ein bißchen beängstigend –, daß ich leise wieder hinaus und zum Brunnen ging, um Wasser zu holen, wie ich es jeden Abend tat. Ich
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