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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment
Autoren: Henri Loevenbruck
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unter der Bettdecke ihren schlafenden Körper. Wie hatte ich mich in den Armen dieser Brünetten derartig vergessen können? Mit wie vielen Frauen hatte ich nach meiner Trennung von Maureen geschlafen, ohne es wirklich zu merken, ohne es wirklich zu wollen, wie der elendeste Lump, wie der gleichgültigste Dreckskerl? Und warum? Nachdem ich mit dem Kokain aufgehört hatte, fand ich im Alkohol einen weniger gefährlichen Gefährten, der mich jedoch häufig abenteuerlustig machte.
    Das Hotelzimmer im Ritz zeigte Spuren einer ungezügelten Nacht, und als das junge Mädchen sich diskret zurückzog, verriet sie mir weder ihren Namen, noch gab sie mir ein idiotisches Versprechen, sondern lediglich einen zärtlichen Kuss. Sie war nur ein flüchtiges Abenteuer, wie die vielen anderen, die ich seit meiner Trennung von Maureen und ihrem verdammten Puder gehabt hatte. An jenem Morgen in Paris schwor ich mir – wie an vielen anderen zuvor – nicht mehr so viel zu trinken.
    Zwei Tage waren verstrichen, seit ich mit den Kopfschmerzen eines kräftigen Katers meinen Vater begraben hatte, ganz allein, bis auf zwei oder drei Totengräber, die mich diskret musterten. Als sie den Sarg meines Vaters in das Grab hinunterließen, versuchte ich den anderen Sarg zu erkennen, in dem meine Mutter lag, aber es war viel zu dunkel. Das Grab war ein tiefes dunkles Loch, bereit, Generationen von übereinander gestapelten Leichen aufzunehmen, und plötzlich schien mir die Vorstellung vom Tod unglaublich profan.
    Ich gab den gütigen Männern in Blau, die den Tag damit verbrachten, Trauer von Fremden zu teilen und die Särge derer Familienangehörigen zu transportieren, zwei Scheine. Dann ging ich, um meinen letzten Abend im Ritz auszunutzen, in der Hemingway-Bar Cognac mit Trüffeln zu genießen und dem braven Klavierspieler zuzuhören, der sein gesamtes Repertoire wie Balladen von Sinatra klingen ließ.

Zwei
    W er je eine lange Fahrt mit einer Harley unternommen hat, und sei es nur mit einer Electra Glide, einem der bequemsten Modelle, wird verstehen, dass ich die Reise lieber in zwei Tagen machte. Ich wollte nicht nur die Landschaft genießen – das Hauptvergnügen jeder Motorradfahrt –, sondern auch meinem Hintern die Qualen ersparen, die jedem drohen, der für längere Zeit den Vibrationen eines Zweizylinders ausgesetzt ist. Ich beschloss also, einen kleinen Umweg zu machen und die Strecke in zwei Abschnitte zu teilen.
    Ich war fasziniert von diesem einmaligen Land, in dem die Geschichte in jedem kleinen Dorf, hinter jedem Hügel, in den Glockentürmen der Abteien und auf den gepflasterten, kurvenreichen Nationalstraßen ihre Spuren hinterlassen hat. Ich begegnete den gelassenen Blicken alter Männer, die auf den Bänken der Marktplätze saßen, fand den Geruch und den Lärm der Kneipen wieder, in denen alle durcheinander redeten, und vergaß darüber New York.
    In Clermont-Ferrand verbrachte ich eine laute und schreckliche Nacht in einem dieser kleinen gelben Motels, wo ich mich in Unterhosen zum Duschen anstellen musste, und zu spät in den Speisesaal kam, sodass der mürrische Geschäftsführer nur noch bereit war, mir ein armseliges Frühstück zu servieren. Nach zwei Nächten im Ritz hatte ein Zwei-Sterne-Hotel wenig Reize.
    Ich eilte auf den Parkplatz, um den Motor meiner schönen Maschine erneut in Gang zu setzen, und freute mich auf die Landstraßen, mich in die Kurven zu legen und den Teer an mir vorbeiflitzen zu sehen. Ich fegte bei strahlender Sonne durch die Schluchten von La Lozère. Gegen Mittag nahm ich rasch einen Imbiss ein, ließ dann schweren Herzens die herrliche Berglandschaft des Gévaudan hinter mir, um nach Osten abzubiegen, wo ich Antworten auf die Fragen zu finden hoffte, die mich seit zwei Tagen quälten.
    Bald gelangte ich auf die Hochebene des Vaucluse und wie das Licht am Ende des Tunnels entdeckte ich endlich das Dorf meines Vaters.
    Der Notar hatte nicht gelogen. Gordes war tatsächlich eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Nie werde ich den Anblick vergessen, den man von der Straße aus auf das mittelalterliche Zentrum genießen konnte. Wenn man, von dem gegenüberliegenden Abhang ankommend, plötzlich das hoch über der Landschaft thronende Dorf erblickte, das sich wie eine steinerne Pyramide inmitten grüner Berge spiralförmig erhob.
    Gordes ist eines der Wunder der französischen Landschaft. Über Jahrhunderte hinweg hatte sich das Städtchen stilvoll entwickeln können, war verschont geblieben
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