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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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hatte irgendwas anderes erwartet. Was genau, weiß ich auch nicht. Alte Bilder vielleicht? Oder einen Schreibtisch mit Löwenfüßen? Als die Pfarrerin zurückkommt, hält sie ein kleines Tablett in der Hand mit einer schönen Teekanne, zwei Teetassen, wie wir sie zu Hause auch haben. Sie gießt mir ein und setzt sich mir gegenüber.
    Dann sehe ich ihre Augen und es läuft mir heiß und kalt den Rücken runter. Hellgrün, wie von einer Fee. Sie blickt mich direkt an, ohne zu zwinkern.
    »Wie alt bist du?«
    »Dreizehneinhalb.«
    »Und wie heißt du?«
    »Tine.«
    »Gut, Tine, sag, was du auf dem Herzen hast.«
    Dass es gleich so zur Sache geht! Ich bin überrumpelt. Ich würde lieber erst ein bisschen plaudern … Aber das geht nicht, nicht mit diesen Augen.
    »Ist es schwer zu erzählen?«, fragt sie in mein Schweigen hinein.
    »Ja«, stammle ich.
    »Also, dann sag ich zuerst etwas. Okay?« Ich bin schon wieder überrascht. Sie holt sich meine Zustimmung.
    »Ja, gern.« Sie hat gewartet, bis ich antworte.
    »Ich bin Pfarrerin. Ich höre dir zu. Wenn du willst, dass alles allein unter uns bleibt, müssen wir unser Gespräch als Beichtgespräch ansehen. Dann gilt das Beichtgeheimnis. Nichts und niemand kann mich zwingen, dich oder das, was du mir erzählen willst, zu verraten.«
    »Beichte?«, entschlüpft es mir. »Ich dachte, das passiert in der Kirche in diesen dunklen Schränken.« Ich kenne die aus dem Kino.
    »Dort auch«, sagt sie ganz ruhig. »Aber auch hier in meinem Zimmer. Und an anderen Orten. Dort eben, wo Menschen es brauchen.«
    »Ich hab nichts zu beichten«, sage ich.
    »Du willst mir etwas erzählen?«
    »Ja.«
    »Und niemand darf davon erfahren? Dann stellst du mich doch unter das Beichtgeheimnis«, beendet sie ihren Gedankengang.
    Ich sehe sie an.
    »Lass das als Vereinbarung zwischen uns gelten. Dann kann ich dir unvoreingenommener zuhören.«
    »Werden Sie mich was fragen?« Eigentlich will ich wissen, ob ich danach irgendwas machen muss. Was bezahlen vielleicht oder so einen Kranz beten, wie das in den Filmen immer ist.
    »Ich werde dich zu deiner Geschichte vielleicht was fragen, wenn ich etwas nicht verstehe«, sagt sie ruhig.
    »Nein, ich meine, muss ich danach irgendwas machen?«
    »Wie meinst du das? Etwas machen?« Sie sieht mich verwundert an.
    »Na, dass ich irgendwas tun muss, was beten oder was anderes. Ich weiß es auch nicht.« Ich stelle mich blöd an, aber ich weiß echt nicht Bescheid.
    »Ach so«, jetzt fällt bei ihr der Groschen und sie lächelt mich freundlich an. »Nein«, fährt sie fort. »Mag sein, wir machen etwas aus, das du mal ausprobieren kannst. Ich denke an Lösungen für dein Problem. Aber Geld kostet mein Zuhören nicht und eine Aufgabe in dem Sinn wirst du auch nicht bekommen.«
    Sie spricht in Rätseln, und ich habe noch mehr das Gefühl, bei einer Fee zu sein. Oder bin ich bei einer Hexe? Ich sehe auf das Kreuz, das sie auf der Bluse trägt. Sie ist gut angezogen mit einer schwarzen Bluse und dunkelgrauen Hosen. Sie trägt einen sehr schönen Ring an der rechten Hand, silberfarbene Ohrringe und eben diese Kette mit dem Kreuz. Das ist auch aus Silber und mit Edelsteinen besetzt, so sieht es jedenfalls aus. Das würde eine Hexe vielleicht nicht tragen. Und eine Fee? Ich bin ganz verzaubert.
    »Willst du anfangen?«, fragt sie mich.
    »Ich weiß nicht, wie«, antworte ich ganz ehrlich.
    »Du siehst aus, als hättest du einen Stein auf der See le.« Während sie das sagt, steht sie auf. Mir wird schwindlig. Ich fange an zu schwitzen. Einen Stein auf der Seele? Worauf habe ich mich nur eingelassen? Jetzt geht es also um meine Seele. Was soll das überhaupt sein, eine Seele? Meine Fragen drehen sich und mich im Kreis. Ich klammere die Hände ineinander.
    Die Frau geht zum Fenster und kommt mit einem ziemlich großen, rundgeschliffenen Ostseestein zurück. »Hier, nimm den. Beschreib mir den schweren Stein.«
    »Der ist von der Ostsee.« Mehr fällt mir nicht ein.
    Ich betrachte den Stein, der schwer in meinen beiden Händen ruht, und lege ihn in meinen Schoß. Ich sehe ihn immer noch an. Dann blicke ich auf. Sie schaut mich einfach an und ich erzähle. Von Manu, von Graf, vom Training, von Schlampen und Schlittschuhen, Küssen und Lügen, Vereinbarungen und Freundschaft.
    Sie hört mir zu. Ich schwitze wie verrückt. Es ist, als wäre ich beim Training. Ich renne einen Marathon. Zwischendurch macht sie mir ein kleines Zeichen, dass ich eine Pause machen soll, und
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