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Das Jahr Des Werwolfs

Das Jahr Des Werwolfs

Titel: Das Jahr Des Werwolfs
Autoren: Stephen King
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Kopfkissen, um sich zu vergewissern, daß das Paket mit den Feuerwerkskörpern noch da ist. Gegen neun Uhr dreißig, als der Mond schon hoch steht, daß er Martys Zimmer mit seinem silbernen Glanz erhellt, wird es im Haus allmählich ruhig.
    Das Fernsehen wird abgeschaltet. Kate muß ins Bett. Sie protestiert lauthals: alle ihre Freundinnen dürfen im Sommer länger aufbleiben. Als sie dann verschwunden ist, bleiben seine Eltern noch ein wenig im Wohnzimmer sitzen. Ihre Unterhaltung ist nur ein Murmeln. Und …
    … vielleicht hat er geschlafen, denn als er das nächste Mal nach seinem wunderbaren Feuerwerk greift, merkt er, daß es im Haus jetzt völlig ruhig ist und daß der Mond noch heller geworden ist — so hell, daß die Gegenstände Schatten werfen. Er nimmt das Paket und eine Schachtel Streichhölzer, die er sich vorher besorgt hat, und steckt sich beides unter das Hemd. Er stopft sich die Pyjamajacke in die Pyjamahose und trifft Anstalten, aus dem Bett zu steigen.
    Das ist für Marty keine ganz leichte Übung, aber es ist auch nicht schmerzhaft, wie die anderen zu glauben scheinen. Er hat nicht das geringste Gefühl in den Beinen, deshalb kann er ja auch keine Schmerzen haben. Er hält sich am Kopfende des Bettes fest und zieht sich in eine sitzende Position. Dann schiebt er eins nach dem anderen die Beine über die Bettkante. Er tut das mit einer Hand und benutzt die andere, um sich am Geländer festzuhalten, das ganz um das Zimmer herumläuft. Einmal hatte er versucht, seine Beine mit beiden Händen zu bewegen, und war hilflos kopfüber auf den Fußboden gepurzelt. Der Krach alarmierte das
    ganze Haus. »Du dusseliger Angeber!« hatte Kate ihm wütend ins Ohr gezischt, nachdem man ihm in seinen Stuhl geholfen hatte. Er hatte sich ein wenig wackelig gefühlt, aber trotz einer Schwellung an der Schläfe und einer aufgeschlagenen Lippe hatte er wie verrückt gelacht. »Du willst dich wohl umbringen, was?« Und dann war sie weinend aus dem Zimmer gerannt.
    Jetzt, wo er einmal auf der Bettkante sitzt, wischt er sich die Hände vorn an der Pyjamajacke ab, damit sie trocken sind und nicht abgleiten. Dann benutzt er das Geländer, um sich mit den Händen übergreifend zu seinem Rollstuhl zu schleppen. Seine nutzlosen Vogelscheuchenbeine, die nur totes Gewicht sind, zieht er hinter sich her. Der Mond ist so hell, daß er Martys Schatten in scharfen Umrissen auf den Fußboden zeichnet.
    An seinem Rollstuhl ist die Bremse festgestellt, und er schwingt sich sorglos hinein. Er wartet einen Augenblick, hält den Atem an und lauscht der Stille im Haus. Schieß keine Kracher ab, hat Onkel AI gesagt, und als Marty jetzt in die Stille hineinlauscht, weiß er, daß sein Onkel recht hat. Er will seinen Feiertag für sich allein haben, und niemand soll es wissen. Jedenfalls nicht vor morgen, wenn sie die geschwärzten Hülsen der Feuerwerkskörper auf der Veranda liegen sehen, aber dann wird es keine Rolle mehr spielen. So viele Farben, wie ein Glücksdrache in seinem Atem hat, hatte Onkel AI gesagt. Aber Marty nimmt an, daß es kein Gesetz gibt, das einem Drachen verbietet, leise zu atmen.
    Er löst die Bremse und dreht den Stromschalter. Das kleine Bernsteinauge leuchtet auf, das ihm in der Dunkelheit anzeigt, daß die Batterie aufgeladen ist. Marty drückt den Knopf für RECHTS. Der Stuhl rotiert nach rechts. Ho, ho. Als er der Verandatür zugewandt ist, drückt Marty VORWÄRTS. Leise summend rollt der Stuhl vorwärts.
    Marty läßt den Riegel der Doppeltüren zurückgleiten, drückt wieder VORWÄRTS und rollt nach draußen. Er reißt das wunderbare Paket mit Feuerwerk auf und wartet noch ein wenig. Die Sommernacht nimmt ihn gefangen — das schläfrige Zirpen der Grillen, die Düfte, die der leise Wind heranträgt, der kaum die Blätter der Bäume bewegt, der fast unirdische Glanz des Mondes.
    Er hält das Warten nicht länger aus. Er holt eine Schlange heraus, zündet ein Streichholz an und hält es an die Zündschnur. Andächtig schweigend schaut er zu, wie grünblaues Feuer aufsprüht, wie die Schlange auf magische Weise immer größer wird, sich windet, und wie ihr Schwanz schließlich Feuer spuckt.
    Der Vierte, denkt er und seine Augen leuchten, der Vierte, der Vierte, einen glücklichen vierten Juli für mich!
    Die Flamme der Schlange brennt niedriger, flakkert und geht aus. Marty zündet eine von den Pyramiden an und schaut zu, wie sie ein Feuer versprüht, das so gelb ist wie Dads neues Golfhemd. Als sie ausgeht,
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