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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend
Autoren: Thommie Bayer
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spricht, alle zu lieben. Aber nur wenn sie Eintritt bezahlen. Mich liebst Du ohne Eintritt, stimmt’s? Mich mit meinen kleinen Brüsten, den zu dunklen Augenbrauen und der löchrigen Dichtung zwischen Phantasie und Leben. Mich liebst Du nicht, obwohl ich so bin, sondern weil. Lieb mich. Ich bin da. Gleich. Deine Laura.
    Im Mai kam eine Postkarte von ihr mit einem Bild von Ayers Rock. Von hier aus kann man durchs Ozonloch spucken, schrieb sie, das ist das Ende der Welt. Ich schreibe Dir Postkarten, die schmuggeln sich leichter aus dem Haus. Keine Adresse, Du sollst mir nicht hierher schreiben. Wie geht’s Albert? Ich liebe Dich, Laura.
    Er schrieb mit der linken Hand einen Antwortbrief von Albert. Wan kohms du entlich? Der Schowanni is schon gants rappelich. Er knuhdschd mich so verdächtich. Wen du nich gleich kohms, dann machters mit mir. Glaup ich wenikstenz. Dein Albert (Bär).
    Den Brief legte er in eine Schublade. Könnte sie ja gelb anstreichen, dann war die Illusion eines Briefkastens perfekt, dachte er. Bärfekt, wie in der Bärenmarke-Werbung.
    Im Juni kam eine Heiratsanzeige von Bo und Vera. Standesamtlich. Die eigentliche Hochzeit solle erst in zwei Jahren stattfinden, stand in Bos Krakelschrift dabei, bis dahin sei auch das Priesterproblem zu lösen. Viel Glück, dachte Giovanni.

 
VIERUNDFÜNFZIG
    Ein Deutscher und seine Cessna flogen zum Kreml, und einige russische Generale von ihren Posten. Um an Aids zu sterben, mußte man noch immer mit jemandem schlafen, fixen, Bluter sein oder sonst eine Transfusion brauchen. Das Virus konnte immer noch nicht fliegen. Aber jeder, der was auf sich hielt, flog irgendwohin in Urlaub. Fliegen war geil. Turbogeil.
     
    Etwa alle drei Wochen schrieb Laura ihre Postkarten. Zwei Operationen waren schon problemlos verlaufen. Giovanni hatte sich mit dem Warten ausgesöhnt.
    Irgendwann beschaffte er sich Pauls Telefonnummer und rief eines Nachmittags an.
    »Ohlenburg?«
    »Paul? Hier ist Giovanni.«
    »Giovanni?«
    »Ja, Giovanni. Der Ex- und zukünftige Liebste deiner Tochter.«
    »Giovanni, na sowas, das freut mich aber. Geht’s dir gut?« Die Stimme klang müde.
    »Ja. Ich will fragen, ob ich dich besuchen darf.«
    »Aber ja, wann du willst. Wir sind immer hier. Wann du willst. Ich freue mich, dich zu sehen.«
    »Ich könnte Anfang September.«
    »Aber ja, wann du willst.«
    »Also dann, ich ruf noch an.«
    Wir? Wer war wir? Hoffentlich nicht seine Frau. Die hatte Giovanni in so unguter Erinnerung, daß er nicht annahm, sie könne inzwischen nett geworden sein. Lauras Schwester? Vielleicht. Konnte ja sein, daß sie den Sommer in Aix verbrachte.
    Die Zugfahrt war so unbequem wie schön. Doch das Reisen war ein Glück für sich, und er versuchte, soviel wie möglich zu sehen. Landschaften, Gesichter, Farben, Geräusche, Stimmen, Gestalten und Gespräche. Kommt alles in den Speicher, dachte er, und wird irgendwann ein Buch.
    Er hatte von daheim aus angerufen, um sich anzukündigen, und jetzt freute er sich, Paul am Bahnhof vorzufinden. Und neben ihm Sabine Kunolt.
    Sie nahm ihn ganz selbstverständlich in die Arme und küßte ihn auf beide Wangen. Genauso Paul. Er mußte schlucken. Die Arme dieser beiden wirkten wie ein kalter Umschlag bei hohem Fieber. Fieber, von dem er natürlich wieder nichts gewußt hatte, bis der Umschlag und mit ihm die Linderung kam. Er sagte: »Das ist wie nach Hause kommen.«
    »Schön«, sagte Paul. »Du wohnst bei uns. Sabine gibt dir ihr Arbeitszimmer. Das kennst du schon.«
    Das Gartenhaus der Mullers hatte sich äußerlich nicht verändert, aber das Wohnzimmer war ein Arbeitszimmer geworden mit Büchern bis zur Decke, einem Computer und einem riesigen Schreibtisch. Der Eßtisch stand jetzt in einer Ecke, denn woanders gab es keinen Platz mehr. Pauls Zimmer war ein Schlafzimmer, und das, in dem Giovanni und Laura damals gewohnt hatten, war Sabines
    Arbeitszimmer geworden. Auch hier ein Schreibtisch und Bücher über Bücher. Nur das Bett von früher stand noch immer an der Wand.
    Es waren wunderschöne Tage. So einfach war es, zu reden, so klar und genau sprach sich Satz um Satz aus wie von selbst. So selbstverständlich schienen die kompliziertesten Sachverhalte, und so aufrichtig klang der Ton, in dem jeder von sich und allem sprach.
    Seit ihrer Rehabilitierung half Sabine Paul als Assistentin. Sie wollten beide nicht mehr nach Deutschland zurück, zogen es vor, Ausländer zu sein, hier wie dort. Paul schrieb Artikel und Bücher, machte
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