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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Autoren: Carson McCullers
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widerhallte. Heiß und still war es hier. Sie blieb eine Weile in der Vorhalle stehen, und dann fiel ihr plötzlich etwas ein. Sie kramte in ihrer Tasche und zog zwei Kreidestückchen heraus, ein grünes und ein rotes.
    Ganz langsam malte Mick die großen Blockbuchstaben. Obenan schrieb sie EDISON , darunter malte sie die Namen DICK TRACY und MUSSOLINI . Dann schrieb sie in noch größeren Buchstaben, grün mit rotem Rand, in alle vier Ecken ihre Initialen: M. K. Als das erledigt war, ging sie zur gegenüberliegenden Wand und schrieb dort ein sehr schlimmes Wort hin – FOTZE , und auch da setzte sie ihre Initialen darunter.
    Sie stand mitten in dem leeren Raum und starrte ihr Werk an. Die Kreide hielt sie noch in den Händen. Wirklich zufrieden war sie nicht. Sie versuchte sich an den Namen des Mannes zu erinnern, von dem die Musik war, die sie vorigen Winter im Radio gehört hatte. Sie hatte in der Schule ein Mädchen nach ihm gefragt, das ein Klavier hatte und Musikstunden nahm, und das Mädchen hatte ihre Lehrerin gefragt. Der Mann war wohl nur ein kleiner Junge gewesen, der vor ziemlich langer Zeit in irgendeinem Land in Europa gelebt hatte. Aber selbst wenn er nur ein kleiner Junge war – er hatte all die schönen Stücke fürs Klavier, für die Geige und das Orchester erfunden. Von den Stücken, die sie gehört hatte, fielen ihr ungefähr sechs Melodien ein. Einige davon waren ganz schnell, wie klingende Glöckchen, und eine andere war wie der Duft nach einem Regenschauer im Frühling. All diese Melodien waren irgendwie gleichzeitig traurig und übermütig.
    Sie summte eine Melodie, und nachdem sie nun eine Weile so allein in dem heißen, leeren Haus gewesen war, kamen ihr die Tränen. Die Kehle wurde ihr eng und rauh, und sie konnte nicht weitersingen. Rasch schrieb sie den Namen des Mannes ganz oben auf die Liste: MOTSART .
    Ralph saß angebunden in seinem Wägelchen, so wie sie ihn verlassen hatte. Er war ganz ruhig und hielt sich mit den dicken Händchen an den Seiten fest. Mit seinem schwarzen Topfschnitt und den schwarzen Augen sah er aus wie ein kleines Chinesenbaby. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht; deshalb hatte er gebrüllt. Bubber war nirgends zu sehen. Als Ralph sie kommen sah, heulte er wieder los. Sie zog den Wagen in den Schatten des neuen Hauses und holte aus ihrer Brusttasche eine blaugefärbte Zuckerstange, die sie dem Baby in den warmen, weichen Mund steckte.
    »Da hast du was zu rauchen«, sagte sie zu ihm. Eigentlich war es Verschwendung, denn Ralph war noch zu klein, um richtig zu merken, wie gut der Geschmack war. Man hätte ihm auch einen Kieselstein geben können; nur hätte der kleine Dummkopf den wahrscheinlich verschluckt. Er verstand vom Schmecken genauso wenig wie von dem, was man ihm erzählte. Wenn man ihm sagte, man habe es derart satt, ihn herumzuschleppen, dass man ihn am liebsten in den Fluss werfen würde, dann war das für ihn das Gleiche, als wenn man ihm Kosenamen gab. Für ihn machte das alles keinen Unterschied. Deshalb war es auch so schrecklich langweilig, mit ihm rumzulaufen.
    Mick legte die hohlen Hände fest aneinander und blies durch den Spalt ihrer Daumen. Sie pustete die Backen auf, und man hörte zuerst nur ein Sausen. Dann ertönte ein hoher, schriller Pfiff, und einige Sekunden später kam Bubber um die Hausecke.
    Sie zupfte die Sägespäne aus Bubbers Haar und setzte Ralphs Mütze gerade. Diese Mütze war Ralphs schönstes Stück. Sie bestand aus lauter Spitzen und war über und über bestickt. Das Band unter seinem Kinn war auf der einen Seite blau und auf der anderen weiß, und an beiden Ohren saßen große Rosetten. Sein Kopf war zwar schon zu groß für die Mütze, außerdem kratzte ihn die Stickerei, aber trotzdem setzte sie sie ihm immer auf, wenn sie rausgingen. Ralph hatte keinen richtigen Kinderwagen wie die Babys von anderen Leuten, und Sommerschühchen hatte er auch keine. Sie musste ihn in dem schäbigen, alten Handwagen ziehen, den sie vor drei Jahren zu Weihnachten bekommen hatte. Aber mit der schönen Mütze sah er doch nach etwas aus.
    Kein Mensch war auf der Straße, denn es war Sonntagvormittag und sehr heiß. Der Handwagen quietschte und ratterte.
    Bubber war barfuß, und das Pflaster verbrannte ihm die Füße. Die dunklen Schatten der grünen Eichen sahen zwar kühl aus, aber sie waren nicht groß genug.
    »Steig in den Wagen«, sagte sie zu Bubber. »Nimm Ralph auf den Schoß.«
    »Ich kann schon gehn.«
    In den langen
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