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Das Herz des Drachen

Das Herz des Drachen

Titel: Das Herz des Drachen
Autoren: Keith R. A. DeCandido
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nicht wahr?“ Dann schüttelte er den Kopf. „Okay, das war nicht schwer zu erraten, weil Sie ein schönes Katana besitzen und wirken, als könnten Sie mich mit einem Blick vernichten. Aber Ihre Kleider haben schon bessere Zeiten gesehen. Bitte nehmen Sie mir nicht übel, was ich jetzt frage. Hoffen Sie, Arbeit zu finden?“
    „Ja.“
    Nakadai setzte seine Besichtigung des Unterstands fort, ohne Augenkontakt aufzunehmen. Von Zeit zu Zeit blickte er gen Himmel, um nach einem Zeichen zu suchen, dass sich der Sturm verziehen würde.
    Trotz seiner sehnlichsten Wünsche sprach sein Begleiter erneut.
    „Wissen Sie, Sie kommen mir wirklich bekannt vor. Ich bin ein Bote, wissen Sie, und ich komme viel herum. Ich wäre gern ein Samurai oder sogar ein Ronin geworden, aber Sie sollten mich mal mit einem Schwert sehen. Oder, ich denke, das sollten Sie nicht, weil ich sehr schlecht bin. Ich habe immer noch eine Narbe.“
    Endlich wandte Nakadai seinen Blick Cho zu und musste feststellen, dass er nicht sonderlich beeindruckt war. Der Bote hatte muskulöse Beine, wie es sein Beruf wohl verlangte, aber er hatte auch riesige Augenbrauen, schlechte Zähne, schwache Arme und seine Kleider hingen schlampig am Oberkörper herunter. Letzteres konnte man zumindest dem Sturm zuschreiben. Aber das andere …
    Einer von seinen schlaffen Armen, der linke, wies eine lange Narbe vom Ellenbogen bis zum Handgelenk auf.
    „Ziemlich traurig, huh? Aber ich konnte mich schon immer schnell bewegen und so wurde ich Läufer. Sehr bald heuerten mich Leute an, um Botschaften zu überbringen. Das ist gut – ich kann in andere Städte reisen und treffe eine Menge Leute.
    „Wissen Sie, ich bin mir einfach sicher , dass ich Sie von irgendwoher kenne“, sagte er wieder.
    Nakadai drehte sich weg. Die Narbe war alt, verheilt und ziemlich gerade. Sie rührte wahrscheinlich von einem Unfall her – vielleicht war er mit dem Schwert in der Hand gestolpert und hatte sich im Fallen geschnitten.
    „Jetzt habe ich’s!“, rief Cho aus und zeigte auf ihn.
    „Sie sind Doragon Kokoro, nicht wahr?“
    Nakadai zuckte zusammen.
    „Mein Name ist Yoshio Nakadai.“ Er hatte diesen Spitznamen nie gemocht. Der Samurai , der im Handumdrehen sieben Banditen getötet hatte. Sie hatten die Karawane seines Herrn angegriffen, während sie auf dem Weg nach Edo zu einer Audienz beim Shogun gewesen waren. Die Banditen waren nicht sehr geschickt und außerdem betrunken. Sogar ein schlecht trainierter Affe hätte sie schnell ausschalten können. Aber sein Herr hatte eher auf die Quantität als auf die Qualität der Angreifer geachtet und Nakadais Verteidigung zu einem löwenartigen Akt hochstilisiert. Als sie in Edo ankamen, sprach er von Nakadai als dem Mann mit dem Herz eines Drachen und der Spitzname Doragon Kokoro war seither an ihm hängen geblieben.
    Cho schüttelte den Kopf und grinste schief, dann verbeugte er sich formell.
    „Es ist mir eine Ehre, Euch zu treffen.“
    „Danke“, sagte Nakadai aus Höflichkeit. Wenn Cho sich geehrt fühlte, bitte schön. Er starrte in den Himmel und sah, dass der Schauer sich lichtete und der Horizont sich blau färbte.
    „Der Regen wird bald aufhören“, stellte er fest.
    „Ausgezeichnet“, antwortete Cho, aber sein Gesicht verzog sich. „Oder vielleicht nicht. Sehen Sie, während ich normalerweise sehr stolz auf meine Arbeit als Bote bin, muss ich heute schlechte Nachrichten überbringen.“
    „Das ist beklagenswert“, sagte Nakadai beiläufig. Er hatte kein Interesse an den privaten Nachrichten anderer.
    „Sehr bedauernswert. Ich komme vom örtlichen Daimyo mit Neuigkeiten, die den Leuten, die ich repräsentiere, nicht gefallen werden.
    „Sehen Sie“, fuhr Cho trotz Nakadais Bestreben, die Privatsphäre von Sender und Empfänger zu wahren, fort. „Da gibt es zwei Jungfrauen, deren Schicksal nicht entschieden ist.“
    Nakadai drehte sich um und sah den Boten an.
    „Was meinen Sie?“
    „Ein Mann namens Kimota hat seinen Sohn zwei verschiedenen Bewerbern versprochen. Die Väter beider Jungfrauen haben den Brautpreis gezahlt. Bevor der Disput wie auch immer beigelegt werden konnte, wurde Kimota krank und starb.“
    „Warum hat der Sohn nicht einfach einen der Väter ausgezahlt?“, fragte Nakadai. „Oder beide und sich eine andere Frau zum Weibe genommen?“
    „Unglücklicherweise hat Kimota diesen Betrug angezettelt, weil er Wettschulden zahlen musste“, erklärte Cho. „Das Geld war lange ausgegeben und der junge
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